Interpretationen der Signal-Affäre

Zweifellos stellt der jüngste Vorfall um die Diskussion der Spitzen des außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungsapparates im Vorfeld der jüngsten US-Militärschläge gegen die Houthis Mitte März im Rahmen eines Signal-Chats ein neues, wenngleich mittlerweile nicht mehr wirklich überraschendes Highlight des Dilettantismus‘ der Trump-Administration dar. Letztere zeichnet sich offenbar durch ein Ausmaß an Inkompetenz, ideologischer Verblendung und Überheblichkeit aus, welches US-Regierungen wie diejenige des seinerzeit als einer der dümmsten US-Präsidenten gescholtenen George W. Bush (mit seinem Vizepräsidenten Dan Quayle) in der Nachschau geradezu als intellektuell erscheinen lassen.  

Ungeachtet der ebenfalls bezeichnenden Reaktion des republikanischen Establishments und des Weißen Hauses auf den Skandal in der „post-truth“ MAGA-Welt mit ihrer ausgehebelten journalistischen Kontrolle öffentlichen Handelns und deutlich in ihrer Weltwahrnehmung beschränkten Wählerbasis sind zwei weitere, keineswegs so eindeutige Aspekte interessant, welche hierzulande eher wenig betrachtet werden. Diese betreffen das in der Signal-Affäre potenziell sichtbar werdende Verhältnis der USA zu ihren europäischen Verbündeten und zu Russland.

Zum einen wurde in dem Chat wieder einmal deutlich, welche ideologische Abscheu etwa Vizepräsident J.D. Vance oder Verteidigungsminister Pete Hegseth gegenüber den Europäern hegen, welche sie (wohl nicht völlig zu Unrecht) als schwache Trittbrettfahrer der US-Sicherheitspolitik betrachten: “I just hate bailing Europe out again“ (J.D. Vance). Auf der anderen Seite haben die Vereinigten Staaten den Angriff auf die Houthis ttrotz der Vorbehalte von Vance tatsächlich auch im Sinne der Gewährleistung der „freedom of navigation“ (FON) durchgeführt, nachdem die US-Streitkräfte die einzigen sind, welche zumindest eine längerfristiges Engagement aufrecht erhalten können. Die FON ist aber ganz im Gegensatz zum ansonsten kurzfristig-egoistischen, transaktionalen Politikverständnis der Trump-Administration eines der zentralen Elemente der verpönten liberalen internationalen Ordnung, deren Hüter die USA lange Zeit im Sinne einer hegemonialen Stabilisierung des internationalen Systems durch Bereitstellung öffentlicher Güter waren. Dass die Vereinigten Staaten zumindest im Roten Meer diese Aufgabe weiter wahrnehmen, auch wenn sie dafür keine unmittelbare Kompensation von den am stärksten von der regionalen FON profitieren, könnte darauf hindeuten, dass es doch noch so etwas wie einen Restbestand an längerfristiger Ordnungsorientierung in der US-Regierung gibt, welche auch die indirekten Konsequenzen etwa für die US-Wirtschaft im Blick hat. Natürlich darf man zugleich nicht vergessen, dass für die Beteiligten des Signal-Chats neben der strategischen Sachfrage auch die Möglichkeit des medialen „Verkaufens“ der Angriffe bei der internationalem Engagement gegenüber höchst kritisch eingestellten MAGA-Basis eine zentrale Rolle gespielt hat, ebenso wie der Prestige-Aspekt, etwaigen israelischen Angriffen zuvorzukommen. Doch die vorsichtige Resthoffnung darauf, dass die Rhetorik der Trump-Administration im Zweifel viel radikaler ist als das, was sie dann im eigenen Interesse außen- und sicherheitspolitisch tatsächlich tut, bleibt bestehen, zumal gegenwärtig deutlich wird, dass die Europäer dabei sind, ihre jahrzehntelange sicherheitspolitische Passivität zu überwinden. 

Der zweite interessante Punkt betrifft Russland. Zum einen unterstreicht die Signal-Panne die mangelnde Professionalität der Trump-Administration und eröffnet der russischen Spionage potenzielle Zugriffe auf US-Geheiminformationen, sei es durch Hackeraktivitäten, sei es durch klassisches "social engineering", was bei Trump und seinen Mitbstreitern offenbar gut funktioniert, bis hin zu dem Vorwurf, Trump und seine Administration seien nichts anderes als ein „Russian asset“. Der angesichts seines Hangs zur Selbstvermarktung und zu starken Vereinfachungen politisch-strategischer Zusammenhänge zu kritisierende, aber stets erfrischend anregende US-amerikanische geopolitische Analyst Peter Zeihan geht sogar soweit, dem Kreml unbändige Freude über seine ungeahnten Möglichkeiten zur Durchsetzung seiner globalen Ambitionen aufgrund der Naivität und Selbstüberschätzung der Trump-Regierung zu unterstellen. Dazu gehört auch, die USA in einen langandauernden Konflikt im Nahen Osten hineinzutreiben, um sie von der Ukraine und Osteuropa abzulenken und militärische Kräfte zu binden, möglicherweise auch durch die Lieferung von Anti-Schiffsraketen über den Iran an die Houthis. Andererseits könnte der US-Angriff auf die Houthis aber auch als Warnschuss an den Iran (und indirekt an Russland) verstanden werden, sich nicht auf ein solches Spiel einzulassen. Auch dies wäre ein Verhalten, welches durchaus zum etablierten, aus realistischer Perspektive rationalen Machtpoker einer Großmacht gehören würde – und damit zum Repertoire einer durchaus traditionell zu nennenden Außen- und Sicherheitspolitik der USA. Ob eine solche positive Deutung der jüngsten US-Aktionen aber überhaupt sinnvoll und haltbar oder ihrerseits nur Wunschdenken ist, muss die nähere Zukunft zeigen.