Japan als Menetekel für den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas?

Ähnlich wie heute gab es in den 1980er Jahren einen regelrechten Hype um ein ökonomisches Erfolgs- und Wachstumsmodell, das über kurz oder lang die Vereinigten Staaten als Wachstumsmotor und dominierende Macht in der Weltwirtschaft (und Weltpolitik) ablösen würde. Nur war damals Japan das, was heute China ist. Populäre und wirtschaftswissenschaftliche Bestseller priesen die Wirtschaftsstrategie mit ihrer vom Industrieministerium (MITI) und der Bank of Japan gemanagten Industrie- und Investitionspolitik, und Japan wurde als unaufhaltsame, führende Wirtschaftsmacht des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gehandelt. 

Wie bekannt kam es anders: In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre platzte die durch niedrige Zinsen und Investitionssteuerung entstandene Immobilienblase in der Asien-Krise. Die daraus resultierende Rezession wurde zu einer Ära der Stagnation, als die nun überschuldeten Haushalte und Unternehmen ihre Nachfrage drosselten, um ihre Hypotheken bedienen zu können, welche nicht mehr durch steigende Hauspreise gedeckt wurden – ein Phänomen analog zur späteren Finanzkrise von 2008. Die Folge war eine anhaltende Deflation, welche die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter senkte und auch durch höhere Staatsausgaben und eine expansive Geldpolitik der Zentralbank nach dem Muster, das heute unter „quantitative easing“ bekannt ist, nicht beseitigt werden konnte, da sich die Inflationserwartungen der Marktakteure nicht anpassten. Verstärkt wurde dieser Effekt spätestens seit den 2010er Jahren durch die Wirkungen einer rapide alternden Bevölkerung, welche sich ebenfalls negativ auf die Nachfrage auswirkte und angesichts knapper werdender Arbeitskräfte auch wenige Anreize zu beschäftigungswirksamen Investitionen schuf. 

Die Folgen sind offensichtlich: Japan ist noch immer eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, aber das Gespenst seiner globalen wirtschaftlichen Dominanz ist längst passé. Japan hat mit 257% (2021) des BIP (1991 noch ca. 62%) heute den höchsten Schuldenstände der öffentlichen Hand überhaupt, was allerdings angesichts der Tatsache, dass die Hauptgläubiger die Bank of Japan und japanische Banken und Bürger sind, weniger problematisch erscheint als etwa eine hohe Auslandsverschuldung wie im Fall Griechenlands (2021: 207% des BIP). Das reale Wirtschaftswachstum Japans, vor dem Kollaps der „Bubble Economy“ Anfang der 1990er Jahre noch bei jährlich fünf bis sechs Prozent, beträgt (mit Ausnahmen wie der Erholung nach dem Einbruch der Finanzkrise) dauerhaft nurmehr ein bis eineinhalb Prozent oder weniger, ist also weit von den teilweise zweistelligen Werten der 1970er Jahre entfernt. Zweifellos haben sich die japanische Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Zustand von Stagnation aber Stabilität gut eingerichtet; heute erwartet aber niemand mehr, dass Japan die USA ökonomisch überholen könnte.

Warum ist die japanische Erfahrung für den gegenwärtigen Fall Chinas relevant? Zum einen lehrt sie, grundsätzlich skeptisch gegenüber einer allzu einfachen Fortschreibung einer (scheinbaren) Erfolgsgeschichte wirtschaftlicher Entwicklung zu sein, insbesondere dann, wenn sie zu ähnlichen populären Prognosen einer alles dominierenden neuen Supermacht führt – man betrachte nur die diesbezüglichen Buchpublikationen der letzten Jahre. 

Zweitens sind einige Parallelen hinsichtlich des chinesischen Wirtschaftsmodells auffallend: So spielt die öffentliche Investitions- und Industriepolitik im staatskapitalistischen System Chinas sicherlich eine noch größere Rolle als im japanischen Fall, mit dem damit verbundenen Risiko einer Fehlsteuerung, d.h. einer Fehlallokation von Ressourcen. Und tatsächlich leidet die Volksrepublik gegenwärtig ebenfalls unter einer gravierenden Immobilienblase, welche schon verschiedene große Unternehmen ins Wanken gebracht und Investitionen „verbrannt“ hat. 

Auch die gesamtwirtschaftliche Verschuldung Chinas hat in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen. Dies gilt insbesondere für den privaten/nichtsstaatlichen Sektor: Folgt man den Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, so belief sich der Schuldenstand des privaten Sektors in China 2020 auf 224% des BIP, verteilt zu 62% des BIP auf Haushalte und zu 161% auf Unternehmen. Damit hat die Privatverschuldung in China diejenige in den USA (gesamt: 165%, davon 80% Haushalte und 85% Unternehmen) und in Japan (183%, 67% bzw. 116%) bereits überholt (zum Vergleich: Deutschland: 132%, 58% bzw. 74%). Addiert man den Schuldenstand des Staates (VRC: 67% des BIP, USA: 123%, J: 227%, D: 69%) dazu, kommt man (wiederum für 2020) auf eine chinesische Gesamtschuldenquote von 291% des BIP. Damit erreicht sie zwar noch nicht das japanische Niveau (410%), übertrifft jedoch bereits diejenigen USA (288%) und – zum Vergleich – Deutschlands (201%). Geht man davon aus, dass es noch erhebliche zusätzliche, nicht offengelegte Schulden der chinesischen Gebietskörperschaften (Regionen) und staatlichen Banken gibt, kann vermutet werden, dass die Gesamtverschuldung Chinas mittlerweile deutlich über 300% des BIP liegt.  

Auffällig ist auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Schulden Chinas vermehrt haben. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Staatsverschuldung, welche sich in nur 20 Jahren trotz der hohen Wachstumsraten der Wirtschaftsleistung verdreifacht hat, von 23% des BIP im Jahr 2000 auf 73% 2021. Im Vergleich dazu stieg die Staatsverschuldung der USA im gleichen Zeitraum um den Faktor 2,3, derjenige Deutschlands um weniger als 1,2. Tatsächlich entspricht diese Wachstumsrate des Schuldenstandes in etwa demjenigen Japans in den 1980er und 1990er Jahren, also während der Boomphase vor der Immobilienkrise und der Krise selbst (1980: 48% des BIP, 2001: 154%). Fasst man diese Daten zusammen, so ergibt sich der Eindruck, dass das Wirtschaftswachstum Chinas in den letzten Dekaden zu einem erheblichen Teil auf staatliche Investitionen und damit Schulden zurückzuführen ist. In diesem Sinne ist die ökonomische Entwicklung mehr oder weniger „künstlich“ aufrechterhalten worden, was angesichts von Investitionsblasen und Überschuldung wenig nachhaltig erscheint.  

Schließlich sieht sich auch China mit einem demographischen Problem konfrontiert. Gegenwärtig befindet sich das Land mit gut 1,4 Milliarden Menschen auf dem Maximum seiner Bevölkerungsentwicklung. Bereits 2011 erreichte die Erwerbsbevölkerung des Landes mit gut 940 Millionen Personen ihren Höhepunkt, 2015 waren es nurmehr 911 Millionen; für 2030 werden etwa 830 Millionen prognostiziert. Zusammen mit dem Wirtschaftswachstum hat dies innerhalb von 20 Jahren zu einer Verzehnfachung der Durchschnittslöhne und zu einem Facharbeitermangel geführt. Wie Japan und andere vom demographischen Wandel betroffene Industriestaaten setzt die chinesische Industrie daher zunehmend auf Automatisierung und Roboter. Die zunehmende Relation von Alten und Erwerbstätigen führt außerdem zu einer weiteren Belastung der Erwerbsbevölkerung und der öffentlichen Hand. 

Vor diesem Hintergrund erscheint ein weiteres, ungebrochenes Wachstum Chinas auf dem vermeintlichen Weg zur Nummer 1 in der Welt alles andere als selbstverständlich. Man muss nicht gleich von einem geopolitischen „Ende Chinas“ sprechen, aber vielleicht ist die japanische Erfahrung tatsächlich ein warnendes Beispiel dafür, was auch der Volksrepublik in den nächsten Jahren bevorstehen könnte. 

  

Literatur/Links:

Johnson, Chalmers (1982): MITI and the Japanese Miracle. Stanford: Stanford University Press.

Lindsey, Brink/Lukas, Aron (1998): Revisiting the “Revisionists”: The Rise and Fall of the Japanese Economic Model. Cato Institute Trade Policy Analysis, no. 3, 31.7.1998, https://www.cato.org/trade-policy-analysis/revisiting-revisionists-rise-fall-japanese-economic-model .

Partick, Hugh (1976): Asia's New Giant: How the Japanese Economy Works. Washington D.C.: Brookings Institution.

Prestowitz, V. Clyde (1989): Trading Places: How We Are Giving Our Future To Japan And How To Reclaim It. New York: Basic Books.

Vague, Richard (2016): The Private Debt Crisis. Democracy. A Journal of Ideas, no. 42, Fall 2016, https://democracyjournal.org/magazine/42/the-private-debt-crisis/ .