Murderer-in-Chief?

Am 2. September haben die US-Streikräfte mit einem gezielten Raketenangriff vor der Küste Venezuelas in internationalen Gewässern ein mutmaßliches Drogenschmuggelboot versenkt. Dabei kamen wohl elf Schmuggler um. Der Militäreinsatz wurde nach eigener Aussage von Präsident Trump selbst angeordnet, der die kriminelle Gruppe „Tren de Aragua“, zu der die Drogenhändler angeblich gehörten, im Februar zu einer terroristischen Vereinigung erklärt hatte, die irreguläre Kriegführung gegen die USA betreibe. 

Der Zwischenfall ereignete sich in einer ohnehin angespannten Situation in der Region, in die Trump mittlerweile acht Kriegsschiffe der U.S. Navy entsandt hat, darunter ein Lenkwaffenkreuzer (USS Lake Erie), drei Lenkwaffenzerstörer (USS Gravely, USS Jason Dunkam, USS Sampson), drei amphibische Landungsschiffe, d.i. die USS San Antonio (LPD-17), die USS Iwo Jima (LHD-7) und die USS Fort Lauterdale (LPD-28) mit zusammen etwa 2.500 Marines an Bord, ein auf dem Kampf in Küstennähe spezialisiertes littoral combat ship (USS Minneapolis-Saint Paul) sowie ein nuklearbetriebenes Angriffs-U-Boot, die USS Newport News. Damit soll Druck auf das von den USA (und der EU) als illegitim angesehene venezolanische Regime Nicolas Maduros ausgeübt werden, dessen Regierung von der US-Administration Regierung als „narco-terror cartel“  bezeichnet wird. Angeblich soll Trump auch Militärschläge gegen Drogenkartelle in Venezuela erwägen; die venezolanische Führung befürchtet offenbar einen US-Angriff für einen Regimewechsel und hat deshalb die Streitkräfte an den Grenzen verstärkt und unter üblichem propagandistischem Getöse eine Teilmobilmachung angeordnet. 

Ungeachtet dessen, wie man die Aktivitäten der vermeintlichen Drogenschmuggler als strafrechtlich relevant einschätzt, stellt sich die natürlich die Frage nach der rechtlichen, insbesondere völkerrechtlichen Grundlage des US-amerikanischen Vorgehens, zumal zunächst es Unklarheiten über den Bestimmungsort des Bootes gab und auch der US-Kongress lediglich in minimaler Weise informiert wurde, wobei Donald Trump auf die Zehntausenden von Drogentoten in den USA jedes Jahr und die Verbindung des Bootes zu einer Terrororganisation und illegalen Drogenhandel verwies. Der US-Verteidigungsminister (bzw. seit neuestem Kriegsminister) Pete Hegseth, der augenscheinlich sehr stolz auf die erfolgreiche und publikumswirksame Anwendung militärischer Macht war, berief sich auf die „absolute und vollständige Autorität“ der US-Regierung, US-Bürger zu verteidigen, nachdem „jede Bootsladung irgendwelcher Drogen eine offensichtliche Bedrohung“ darstelle, die die US-Streitkräfte abwenden müssten.   

Die innerstaatliche Rechtslage ist umstritten. Zwar ist der Präsident der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und kann daher jederzeit Militärschläge anordnen, doch nur der Kongress kann den Krieg erklären. Im Fall von Terrororganisationen wie Al Qaeda hat er dies nach 9/11 auch getan, doch im Fall der Drogenkartelle nicht. Bereits die gezielten Drohneneinsätze gegen islamistische Terroristen unter George W. Bush, Barack Obama und Joe Biden wurden als sehr weitgehende Auslegung präsidentieller Kompetenzen betrachtet. Zudem würden Drogenschmuggler wohl der zivilen Strafverfolgung unterliegen, würden sie sich in US-Hoheitsgewässern aufhalten bzw. müsste dies auch auf Hoher See gelten, nachdem sie als Drogenhändler nach US-Recht eben noch immer Kriminelle und nicht assoziierte Angehörige einer feindlichen Macht waren. Es gibt also durchaus deutliche Anhaltspunkte dafür, dass es sich nach geltendem US-Recht um Mord gehandelt hat.

Aus einer völkerrechtlichen Perspektive gestaltet sich die Angelegenheit noch schwieriger. Zwar hat der UN-Sicherheitsrat anlässlich der Anschläge von New York 2001 oder von Paris 2015 das traditionell auf Staaten bezogene Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN mit seinen Resolutionen 1368 (2001) bzw. 2249 (2015) zumindest indirekt auch auf Terrororganisationen erweitert, und die gewohnheitsrechtliche Interpretation von Selbstverteidigung schließt auch das militärische Vorgehen gegen feindliche Gruppierungen auf dem Territorium anderer Staaten ein, die nicht willens oder in der Lage sind, deren Angriffe zu unterbinden. Doch im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die formale Deklaration einer kriminellen Organisation als Terrorgruppe ausreicht, das Recht zur Selbstverteidigung tatsächlich zu aktivieren, zumal das betreffende Schmugglerboot offenbar gar keinen gewaltsamen Angriff auf die USA oder eines ihrer Kriegsschiffe vorhatte. Dass die kriminelle Gefährdung von US-Bürgern (durch Drogenhandel) aber eine Angriffshandlung gegen die USA im Sinne des Art. 51 SVN darstellt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, denn das etablierte Völkerrecht verbindet Angriffshandlungen in der Regel mit direkter, kinetischer Gewaltanwendung.

Zudem würden auch im Falle legaler Selbstverteidigung nach humanitärem Völkerrecht Grundsätze wie die Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes und die ständige Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten (etwa hinsichtlich der etwaigen Bewaffnung der Bootsinsassen) gelten. Ein Boot mit seiner Besatzung unterschiedslos in die Luft zu sprengen widerspricht offensichtlich diesen Grundsätzen, zumal die starke Präsenz der U.S. Navy sicherlich auch eine anderweitige Operation zur Aufbringung des Bootes und Festsetzung seiner Crew ermöglicht hätte. Völkerrechtlich dürfte das US-Vorgehen damit illegal gewesen sein.

Zumindest hinsichtlich der Konsequenzen der Operation nach innerstaatlichem Recht muss sich aber zumindest der Präsident selbst keine Sorgen machen, denn nach der Verfassungsauslegung durch den Supreme Court von 2024 genießt er ja weitgehende strafrechtliche Immunität. Dies gilt aber nicht für seine Untergebenen, angefangen bei Pete Hegseth, der eigentlich zumindest mit einer strafrechtlichen Untersuchung rechnen müsste. Als Nichtmilitär könnte er sich auch nicht wie die betreffenden Angehörigen des Pentagon und der Navy auf die sehr rigide Rechtslage in Bezug auf die Pflicht zum Gehorsam gegenüber Befehlen berufen. Es ist jedoch wohl fraglich, ob sich für eine potenzielle Anklage von Führungspersonal der Regierung noch eine mutige Staatsanwaltschaft findet.

Der Militäreinsatz gegen die venezolanischen Drogenschmuggler ist damit nicht nur ein mahnendes Beispiel dafür, wie „triggerhappy“ die gegenwärtige US-Administration (zumindest gegenüber eindeutig Schwächeren oder als Feind betrachteten politischen Gegnern) ist und wie abschätzig sie nationale und internationale Rechtsregeln betrachtet, die nicht ihren Interessen entsprechen, sondern dürfte gleichzeitig zu einem Testfall dafür werden, wie weit die Aushöhlung des Rechtsstaates in den USA unter Trump bereits fortgeschritten ist.