Trump und die Ukraine

Nach der neuerlichen Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten mehren sich in Europa die Sorgen um die Zukunft des US-amerikanischen Engagements im Ukraine-Krieg und die etwaigen Folgen eines russischen Erfolges für die Bedrohungslage insbesondere der östlichen NATO-Länder. Schließlich hat der nunmehrige President-elect im Wahlkampf immer wieder seine Skepsis gegenüber den Hilfeleistungen der Vereinigten Staaten für die Ukraine (und ihren Kosten) geäußert, sein gutes Verhältnis zu Vladimir Putin gepriesen und betont, dass er den Krieg nach seinem Amtsantritt binnen 24 Stunden beenden werde.

Hinweise darauf, wie dies geschehen soll, lassen sich aus Aussagen von J. D. Vance und Mitgliedern der außenpolitischen Entourage Trumps und ehemaligen Beratern ableiten: Danach soll die Ukraine im Wesentlichen auf Gebiete verzichten – insbesondere die Krim sein endgültig verloren – und einer Demarkationslinie auf Höhe von in etwa der gegenwärtigen Front zustimmen, und ihre Neutralität erklären, wohl für mindestens 20 Jahre. Im Gegenzug sollten internationale Truppen eine Pufferzone zwischen der Rest-Ukraine und Russland bewachen, der Westen Garantien für die ukrainische Souveränität geben und die Europäer den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren. Insgesamt ähneln diese Ideen stark den Vorschlägen des russischen Präsidenten und würden in gewisser Weise einer (Teil-) Kapitulation der Ukraine gleichkommen. Sie wären gegenüber Kyjiw wohl nur durch entsprechenden Druck auf die ukrainische Führung, etwa die Androhung der sofortigen Einstellung jeglicher Unterstützung, durchzusetzen. Angesichts der schwierigen militärischen Lage der Ukraine würde dies aber wohl erfolgreich sein.   

Aus der Perspektive der Europäer würde sich dann zum einen die Frage stellen, ob der Abwehrkampf der Ukraine allein von den europäischen NATO- und den EU-Mitgliedsstaaten noch ausreichend unterstützt werden könnte – was angesichts der beschränkten Ressourcen und der wankelmütigen öffentlichen Meinung wohl kaum der Fall wäre. Zum anderen würde insbesondere den westeuropäischen Ländern schmerzhaft bewusst werden, wie wenig man die Atempause, welche die Verteidigung der Ukraine ihnen verschafft hat, tatsächlich für die Wiederherstellung der eigenen Verteidigungs- und damit Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland genutzt hat (Stichwort: die sogenannte deutsche „Zeitenwende“).  

Obwohl keineswegs auszuschließen ist, dass die zukünftige Trump-Administration der russischen Seite so deutlich in die Hände spielt, gestaltet sich die Konstellation bei näherem Hinsehen aber möglicherweise doch differenzierter. Dafür sind vor allem drei Punkte relevant:

1. Auch die skizzierte Friedenslösung à la Vance entspricht offenkundig nicht den wahren strategischen Zielen der russischen Führung. Wenn sich Putin als faktisch mit der NATO und den USA im Krieg befindlich sieht, dann erfordert Russlands geostrategische Lage und Bedrohungswahrnehmung die Kontrolle über die gesamte Ukraine und möglichst noch angrenzende Territorien im Westen. Eine Friedenslösung, wie sie dem Trump-Team anscheinend vorschwebt, könnte demnach – möglicherweise nach einem kurzen Intermezzo eines Waffenstillstandes – durchaus auch an Russland scheitern. Für einen solchen Fall hat Trump bereits angekündigt, die Ukraine massiv mit Waffenlieferungen zu unterstützen, sei es aus geopolitischem Kalkül, sei es aus gekränkter narzisstischer Eitelkeit.

2. Donald Trumps Welt- und Politikbild ist geprägt von der Vorstellung, auch internationale Beziehungen seinen in erste Linie finanziell-materielle Transaktionen, bei denen es darauf ankommt, für das eigene Land den besten „Deal“ herauszuholen und dabei mehr oder weniger alle Druckmittel zu verwenden. Eine solche transaktionale Betrachtung des Ukraine-Krieges wird aber schnell zeigen, dass ein Wegfall der US-amerikanischen Unterstützung für die Ukraine zu deutlichen Einbußen für die US-Rüstungsindustrie führen würde. Aus Trumpscher Sicht wäre es daher von großem Interesse, die Profite der US-Rüstungskonzerne aufrechtzuerhalten oder gar noch zu steigern, ohne dafür Mittel aus dem US-Haushalt bereitstellen zu müssen. Dies wäre etwa durch eine Umstellung der Lieferungen auf ein Kreditsystem oder die Übernahme der Kosten durch Dritte, notabene die europäischen Bündnispartner möglich. Wenn die Ukraine (oder die EU bzw. die europäischen NATO-Mitglieder) die Zeche zahlen, könnte dies durchaus mit den Interessen Trumps kompatibel sein und die Beendigung des Krieges weniger prioritär machen.

3. Anderen Aussagen Trumps im Wahlkampf nach – und darauf hat Niall Ferguson hingewiesen – sieht er durchaus eine enge Verbindung zwischen Russland, China, dem Iran und Nordkorea als antiamerikanische und antiwestliche Allianz und folgt tatsächlich keiner klassisch isolationistischen Ausrichtung der US-Außenpolitik. Deren gemeinsame Bedrohung der USA würde demnach viel weniger als etwa von John Mearsheimer propagiert eine Trennung der US-Außen- und Sicherheitspolitik zwischen einem geopolitischen Arrangement mit Russland (durch die Anerkennung einer russischen Einflusszone in Osteuropa) und der intensivierten strategischen Auseinandersetzung mit der Volksrepublik China (durch ein verstärktes ökonomisch-militärisches Containment im Indo-Pazifik) zulassen. Aus einer solchen Sicht müsste die zukünftige Trump-Administration die Abschreckung und den Druck auf die neuen „Achsenmächte“ insgesamt erhöhen, was logischerweise auch Russland einschließen müsste. Spätestens dann, wenn es Trump nicht gelänge, Russland durch sein angeblich so gutes persönliches Verhältnis zu Putin aus den antiamerikanischen Kooperationsstrukturen herauszulösen, stünde auch die Unterstützung der Ukraine wieder ganz vorne auf der Tagesordnung auch der neuen republikanischen Administration.

In jedem Fall besteht offenkundig für alle Beteiligten im Augenblick ein hohes Maß an Unsicherheit über die Zukunft der US-Haltung gegenüber der Ukraine. Aus russischer Sicht führt dies zu der Notwendigkeit, in den verbleibenden Monaten bis zum Amtsantritt Trumps noch möglichst viel an Territorium der Ukraine zu erobern, um eine möglichst günstige Lage für etwaige Verhandlungen zu schaffen; analog dazu muss die Ukraine alles daran setzen, dies zu verhindern und möglichst auch noch russisches Gebiet (wie im Raum Kursk) besetzt zu halten, um sich trotz allem eine gewisse Verhandlungsmasse bzw. eine noch halbwegs erträgliche Grenze im Donbass zu sichern. Aus (west-) europäischer und insbesondere auch aus deutscher Sicht verweist genau diese Unsicherheit aber darauf, dass es nun wirklich allerhöchste Zeit ist, das Problem der zukünftigen russischen Bedrohung durch ein rapides und umfassendes Umsteuern in der Verteidigungspolitik in Richtung der von Boris Pistorius beschworenen „Kriegstüchtigkeit“ anzugehen.

  

Literatur/Links

Grajewski, Marcin (2024): European defence, strategic autonomy and NATO. European Parliamentary Research Service Briefing, 23. Februar 2024, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2024/759601/EPRS_BRI(2024)759601_EN.pdf .

Mills, Claire (2024): Ukraine conflict: An overview. House of Commons Library Research Briefing no. 9723 (7. November 2024), https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-9723/CBP-9723.pdf .

Zelikow, Philip (2024): Confronting Another Axis? History, Humility, and Wishful Thinking. Texas National Security Review 7 (3), https://tnsr.org/2024/05/confronting-another-axis-history-humility-and-wishful-thinking/https://tnsr.org/2024/05/confronting-another-axis-history-humility-and-wishful-thinking/ .