Ein Pyrrhus-Sieg für die CSU

Dass die konkrete Ausgestaltung des Wahlsystems für das Funktionieren einer Demokratie von essentieller Bedeutung ist, wurde unlängst in den Wahlen zur französischen Nationalversammlung deutlich, als es dem Mehrheitswahlrecht zusammen mit Absprachen zwischen linken und zentristischen Parteien in der zweiten Wahlrunde – wohl durchaus im Sinne des Kalküls Präsident Macrons – zu verdanken war, dass eine Mehrheit des Rassemblement National im Parlament verhindert wurde. In umgekehrter Weise befeuert das US-Wahlsystem mit dem Erfordernis der Registrierung als Wähler und der indirekten Wahl im entscheidenden Gremium des Electoral College die Sorge vor einer neuerlichen Präsidentschaft Donald Trumps auch ohne Mehrheit des popular vote - wie bereits 2016, als er nur rund 46 Prozent der Stimmen gewann.

Umso mehr freut es laut offizieller Stellungnahmen die Spitzen der CSU, dass das Bundesverfassungsgericht nun Teile des von der Ampelkoalition beschlossenen neuen Wahlrechts zum Bundestag für verfassungswidrig erklärt hat. Zwar wurde der hauptsächlich von der CSU und der Linkspartei getragenen Klage hinsichtlich der geplanten Abschaffung von Überhang- und Ausgleichmandaten und der damit verbundenen zukünftigen Fixierung der Zahl der Abgeordneten im Bundestag auf 630 nicht entsprochen. Doch zumindest hat das Gericht aus Gründen der Chancengleichheit für die Parteien und der prinzipiellen Gleichgewichtung aller Stimmen die Relativierung der 5%-Hürde durch die Grundmandatsregel aufrechterhalten, wonach auch Parteien, die bundesweit weniger als 5% der Stimmen erreichen, dennoch in der proportionalen Sitzverteilung berücksichtigt werden, sofern sie mindestens drei Direktmandate erzielt haben. Angesichts eines Stimmenanteils von deutschlandweit knapp über fünf Prozent in der letzten Bundestagswahl war dies gerade der nur in Bayern antretenden CSU (ebenso wie der Linkspartei, insbesondere mach der Abspaltung des BSW) ein großes Anliegen. Entsprechend nimmt es nicht wunder, dass etwa Markus Söder triumphierend von einer „Klatsche für die Ampel“ spricht.

Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwar ein potenzielles Herausfallen der CSU aus dem Bundestag verhindert wird, doch gleichwohl scheint eine Abnahme des bundespolitischen Gewichts der CSU, zumindest ausgedrückt in der Zahl ihrer Bundestagsabgeordneten, nicht zu vermeiden. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte die CSU mit 5,2% der Stimmen (31,7% in Bayern) 45 Abgeordnete; davon waren sage und schreibe elf Überhangsmandate, nachdem die CSU 45 der 46 bayerischen Direktmandate gewann (eines ging in München an die Grünen). 2017 und 2013 waren dies 46 bzw. 56 Abgeordnete (davon 7 bzw. 0 Überhangmandate) bei 6,2% bzw. 8,1% Stimmenanteil (in Bayern 38,8% bzw. 49,3%).  

Bei einem tendenziell abnehmenden bundesweiten Stimmenanteil der CSU dürfte die CSU-Präsenz im Bundestag damit zukünftig ebenfalls schwächer ausfallen als in der Vergangenheit. Selbst wenn dies an der relativen Sitzverteilung wenig ändert – dafür gab es bislang ja die Ausgleichsmandate, auch wenn diese Verzerrungen durch die Direktmandate nicht völlig beseitigen konnten – dürfte sich dies nicht zuletzt auf das Verhältnis zur Schwesterpartei CDU und etwa die Chancen eines CSU-Vorsitzenden, Kanzelkandidat der Union zu werden, auswirken. Die CSU wird sich mehr und mehr mit ihrem Status als Regionalpartei abfinden müssen.  

Noch stärker dürften allerdings die internen Konsequenzen für die Partei sein. Die CSU zeichnet sich durch einen ausgesprochen starken Regionalproporz aus, d.h. die nach Regierungsbezirken organisierten Untergliederungen der Partei achten peinlich genau darauf, dass eine gewisse Ausgewogenheit bei der Besetzung von Ämtern gewahrt bleibt. Mit dem Wegfall der Garantie, dass der Gewinn eines Wahlkreises mit einfacher Mehrheit automatisch ein Bundestagsmandat bedeutet, wird das interne Parteigefüge komplizierter. So wären etwa die drei CSU-Wahlkreissieger in München (Wahlkreise München-Nord, München-Mitte und München-Ost) von 2021 nach den neuen Regeln gar nicht in den Bundestag eingezogen; das Gleiche gilt für die CSU-Direktmandatare für Nürnberg-Nord und Augsburg-Stadt. Ursache ist, dass die CSU insbesondere in größeren Städten höchstens knappe Erfolge gegen die anderen Parteien erringen kann, deutlich knapper zumindest als im ländlichen Raum. So erreichten die CSU-Kandidaten 2021 neben den genannten Wahlkreisen auch in Passau und im Ost-Allgäu jeweils weniger als ein Drittel, meist nur rund ein Viertel der Erststimmen. Allein diese sieben Wahlkreise sind, setzt sich der Trend der CSU-Wahlergebnisse fort, zukünftig wohl keine Basis für ein direktes CSU-Bundestagsmandat mehr.

Sichere Sitze für die CSU gibt es somit zukünftig wohl vor allem durch Direktmandate in eher ländlich geprägten Kreisen und Bezirken, was deren Gewicht innerhalb der Partei gerade zu Lasten der Landeshauptstadt München und der altbayerischen Bezirksverbände stärken und zugleich den Konkurrenzkampf mit den ebenfalls stärker auf dem Land verankerten Freien Wählern verschärfen dürfte. So lagen 2021 zwar von den 13 Wahlkreisen, in denen die CSU teilweise deutlich über 40% der Erststimmen gewann, fünf in Oberbayern (Altötting, Erding-Ebersberg, Ingolstadt, Bad Tölz-Wolfratshausen, Weilheim), jedoch zwei in Unterfranken (Aschaffenburg, Schweinfurt), drei in Oberfranken (Bayreuth, Hof, Kulmbach) sowie je einer in Bayerisch-Schwaben (Augsburg-Land), Niederbayern (Straubing) und der Oberpfalz (Amberg). Dies deutet auf eine tendenzielle Abschwächung der traditionellen strukturellen Dominanz Münchens und Oberbayerns innerhalb der CSU hin. Dies mag Ministerpräsident Markus Söder, der seine Basis bekanntlich in Franken hat, durchaus Recht sein. Doch es ist auch zu erwarten, dass das CSU-interne Hauen und Stechen um die rarer werdenden sicheren Bundestagswahlkreise noch zunehmen wird.