Leopard 2 für die Ukraine – Angst vor der eigenen Courage?

Die gegenwärtige Diskussion um die mögliche Lieferung vom Kampfpanzern des Typs Leopard 2 aus deutscher Produktion und die Haltung der Bundesregierung, notabene des Bundeskanzlers, sind eine ambivalente Angelegenheit. Zum einen kann man unabhängig von innenpolitischen Zwängen zweifellos eine rationale Debatte darüber führen, ob die Lieferung solcher Waffensysteme aus außenpolitischer und strategischer Sicht sinnvoll ist. Insbesondere könnte dabei relevant sein, inwiefern eine – aus russischer Perspektive – weitere qualitative Intensivierung des Krieges in der Ukraine die Möglichkeiten eines Waffenstillstandes und einer Verhandlungslösung, auf die wohl vor allem die französische und die deutsche Diplomatie noch immer hoffen, zusätzlich erschwert und die Beziehungen zu Russland noch langfristiger beschädigt werden würden als ohnehin schon. Damit verbunden muss sich aus realpolitischer Sicht auch die Frage stellen, wie es gelingen kann, die ukrainische Führung einerseits in ihrem unbestreitbar legitimen Interesse der Bewahrung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine effektiv zu unterstützen, so dass Russland im laufenden Abnutzungskrieg am Ende nicht doch noch erfolgreich ist, und andererseits davon abzuhalten, eine umfassende militärische Lösung des Konfliktes über die weitgehende Wiederherstellung der faktischen Grenzen von 2021 hinaus (einschließlich der Rückeroberung der Krim) zu suchen, welche den Krieg zusätzlich verlängern und womöglich doch noch eskalieren könnte. 

Nicht relevant erscheinen dabei übrigens Argumente, die etwa auf einer letztlich fiktiven Unterscheidung zwischen „offensiven“ und „defensiven“ Waffen beruhen. Der diesbezügliche Charakter eines Waffensystems zeigt sich ausschließlich in der operativen und taktischen Verwendung und deren strategischen Kontext. Sind die Schützenpanzer vom Typ Marder defensive Waffen, weil sie genauso schnell rückwärts wie vorwärts fahren können? Sind Flugabwehrsysteme defensive Systeme, wenn sie auch für den Schutz von Angriffsverbänden vor Luftschlägen verwendet werden können? 

Die Kriegsgeschichte ist voll von Beispielen bei denen „offensive“ und „defensive“ Systeme genau gegenteilig zu ihrem scheinbaren Hauptzweck eingesetzt wurden. Man denke an die zentrale Bedeutung von Boden-Luft-Raketen für die Überquerung des Suez-Kanals und die Offensive auf die Sinai-Halbinsel durch die ägyptische Armee im Yom Kippur-Krieg 1973 oder die primäre Verwendung schwerer Panzereinheiten als „Feuerwehr“ in den Abwehrkämpfen durch die Wehrmacht 1944/45. 

Zum anderen deutet die offizielle Argumentationslinie der Bundesregierung jedoch darauf hin, dass es mit der tatsächlichen Willensbildung über etwaige Kampfpanzerlieferungen noch nicht weit her ist – und sich womöglich mit einem hohen Maß an Konfusion und Verschleppungstaktik paart. So ist der immer wieder genannte Punkt, Leopard 2 sollten letztlich nur geliefert werden, wenn auch die USA M1 Abrams-Panzer zur Verfügung stellt, ein offenkundiger Versuch, zusätzliche Sicherheitsgarantien der Vereinigten Staaten gegen etwaige russische Gegenmaßnahmen zu erhalten, nachdem die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Augenblick aufgrund der Versäumnisse der letzten dreißig Jahre praktisch bei Null liegt. Dem lässt sich entgegenhalten, dass erstens auch die USA bei – insgesamt ohnehin eher unwahrscheinlichen, aber zumindest denkbaren – russischen Revancheaktivitäten sowieso kaum unmittelbar helfen könnten, etwa bei Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur. Zweitens vermittelt die faktische deutsche Verzögerungstaktik den Eindruck einer wachsenden Uneinigkeit von NATO und EU – und bestärkt damit tendenziell die russische Seite in ihrem Bestreben, durch die als überlegen wahrgenommene eigene Durchhalte- (von Militär und Wirtschaft) und Leidensfähigkeit (der Bevölkerung) doch noch zu siegen. 

Drittens widerspricht die deutsche Haltung dem vollmundig formulierten Anspruch, eine militärische Führungsmacht in Europa werden zu wollen und macht Deutschland in den Augen der übrigen Verbündeten, nicht zuletzt auch der USA, vielmehr zu einem unsicheren Kantonisten – was noch dadurch verschärft wird, als auch das Verhältnis zu Frankreich als dem anderen zentralen Pol deutscher Außen- und Sicherheitspolitik unter der aktuellen Bundesregierung deutlich gelitten hat. Sofern die Ankündigung, nun werde erst einmal geprüft, wie viele Leopard 2-Panzer bei Bundeswehr und Rüstungsindustrie überhaupt zur Verfügung stehen würden (nach bereits monatelanger Diskussion) ist ein zusätzliches Zeichen für ein Suchen nach Ausreden – oder gar grundlegender Inkompetenz.

Im Übrigen gibt es auch weitere sachliche Argumente, die zu berücksichtigen sich lohnt. Zum einen entspricht das Konzept des Leopard 2 (wie vieler westlicher Kampfpanzer, mit Ausnahme etwa des französischen Leclerc) so gar nicht demjenigen sowjetischer Modelle, welche die ukrainische Armee gewohnt ist. So dürfte die Ausbildung ukrainischer Panzersoldaten an dem Gerät, welches beispielsweise vier Mann Bestatzung benötigt (weil es einen Ladeschützen anstelle eines automatischen Ladesystems gibt) oder eine deutlich höhere Silhouette als sowjetische Kampfpanzer besitzt (und damit auf eine höheres Maß an taktischer Mobilität angewiesen ist), nicht ganz trivial sein – letztlich auch ein Grund dafür, warum damit eigentlich möglichst früh hätte begonnen werden müssen. Allerdings lässt sich dem entgegensetzen, dass die mittlerweile kampferprobten Ukrainer wie alle Veteranen wohl sehr wohl in der Lage sind, sich auf neue Waffensysteme schnell einzustellen, wie etwa bei der Panzerhaubitze 2000 oder dem französischen CAESAR deutlich geworden ist.            

Zum anderen – und dieser Punkt kommt in der öffentlichen Diskussion kaum vor – hängt an dem Einsatz von Panzern ein ganzer Rattenschwanz an zusätzlichen logistischen Herausforderungen. Diese reichen vor der Infrastruktur zur Verlegung solch schwerer Systeme (Eisenbahnen, Straßen, Brücken) über die Versorgung mit Treibstoff und anderen Betriebsmitteln bis hin zur Instandsetzung (Ersatzteile, ausgebildetes Personal, Werkstätten). Jeder westliche Kampfpanzertyp (und nicht nur dieser) erfordert eine eigene Logistikinfrastruktur, die, soll sie der ukrainischen Kampffähigkeit tatsächlich nachhaltig zugute kommen, natürlich möglichst einfach sein soll. 

Hier kommen die aus praktischer Sicht wohl zentralen Vorteile einer Lieferung von Leopard 2-Panzern zum Tragen: Erstens hat der Leopard 2 den Ruf, relativ leicht zu warten zu sein (sofern ausreichend Ersatzteile zur Verfügung stehen), etwa durch die (im Unterschied zum Abrams) Möglichkeit zum schnellen Austausch des gesamten Motorblocks. Zweitens verbraucht der Leopard 2 nicht wie der Abrams (mit seiner Gasturbine) nicht Unmengen von Kerosin, sondern Diesel, erfordert also keine eigene gesonderte Treibstoffversorgung. Und drittens ist der Leopard 2 in seinen verschiedenen Varianten der in Westeuropa am meisten verwendete Kampfpanzertyp, mit bis zu geschätzt 2.000 im Dienst befindlichen oder eingelagerten Exemplaren in Dänemark, Deutschland, Finnland, Griechenland, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Portugal, Schweden, der Slowakei, Spanien, der Türkei und Ungarn. Im Unterschied etwa zu den britischen Challenger 2-Kampfpanzern, von denen der Ukraine bislang rund ein Dutzend zugesagt wurden, könnte der logistische Zusatzaufwand für die Ukrainer durch eine Konzentration auf die Verwendung des solcherart in großer Zahl verfügbaren Leopard 2 minimiert werden. 

Ob der Leopard 2 dann auf dem Schlachtfeld tatsächlich ein „Game Changer“ würde, steht natürlich auf einem anderen Blatt und würde vor allem vom Geschick der Ukrainer und der russischen Antwort abhängen. Maßgebliche Voraussetzung ist jedoch in jedem Fall eine entsprechende Entscheidung der Bundesregierung.