Machtkampf in der katholischen Kirche

Am vergangenen Montag veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Webseite einen Brief aus dem Vatikan, in dem die Einrichtung eines Synodalen Rates auf nationaler Ebene oder in Diözesen und Pfarreien als kirchenrechtlich nicht zulässig verurteilt wird. Der Brief vom 16. Januar, der von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin sowie den Präfekten der Dikasterien für die Glaubenslehre und für die Bischöfe, Luis Ladana bzw. Marc Ouellet, unterzeichnet und vom Papst approbiert wurde, stellt fest, dass weder der Synodale Weg noch ein von ihm geschaffenes Gremium die Kompetenz dafür habe.

Hintergrund sind die Auseinandersetzungen um den Synodalen Weg, die es seit dessen Beginn Ende 2019 zwischen Rom und der großen Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz sowie unter den deutschen Katholiken gibt. Der Synodale Weg war ins Leben gerufen worden, um die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche aufzuarbeiten und strukturelle Reformen in der Kirche, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis von Bischöfen und Laien zu initiieren. Hierzu wurde das Gremium der Synodalversammlung mit Präsidium und verschiedenen Unterforen gegründet, in dem ein Reformprozess in der Kirche debattiert und konzipiert werden sollte. Beschlüsse der Versammlung erfordern laut Satzung, welche von der Deutschen Bischofskonferenz und der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) 2019 angenommen wurde, eine Zwei-Drittel-Mehrheit, darunter auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe – alle 67 Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, d.h. 27 Diözesanbischöfe bzw. Diözesanadministratoren (Bischofsstellvertreter in unbesetzten Diözesen) sowie 40 Weihbischöfe, und Koadjutoren („Hilfsbischöfe“) sind Mitglieder der Synodalversammlung. Nachdem es die Institution des Synodalen Weges oder der Synodalversammlung in dieser Form im Kirchenrecht nicht gibt, sind die Beschlüsse rein juristisch nicht bindend, sondern werden von den Bischöfen bestenfalls freiwillig befolgt, welche ihre im Diözesankontext mehr oder weniger unbeschränkte Machtposition formal nicht verlieren.

Auf insgesamt fünf Synodalversammlungen (einschließlich der letzten, für März 2023 geplanten) haben die 230 Mitglieder in vier Synodalforen („Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“, „Leben in gelingenden Beziehungen“) über verschiedene Themen der Kirche, vom Umgang mit sexuellem Missbrauch über Homosexualität und Zölibat bis hin zur Rolle von Frauen im kirchlichen Lehramt und in der Kirchenhierarchie teilweise sehr kontrovers diskutiert und Beschlüsse getroffen, welche Transparenz, Kommunikation, Kooperation und eine letztlich liberalere Glaubenspraxis in der deutschen katholischen Kirche fördern sollten. 

Zur Verstetigung des Synodalen Weges sollte nun bis März 2026 ein Synodaler Rat eingerichtet werden, der von einem Synodalen Ausschuss, besetzt mit 27 Bischöfen, 27 vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sowie 20 weiteren, von der Synodalversammlung noch zu wählenden Mitgliedern vorbereitet werden sollte.

Vier Aspekte bei dem Konflikt um den Synodalen Rat und damit den Synodalen Weg insgesamt sind bemerkenswert:

1. Die Haltung des Papstes:

Franziskus gilt allgemein als sehr pastoral und volksnah, doch genaueren Beobachtern ist schon länger klar, dass er jenseits allen Pragmatismus’ hinsichtlich der Glaubenslehre letztlich stark konservative Positionen vertritt. Zwar hat er selbst im Herbst 2021 einen weltweiten synodalen Prozess eingeleitet, an dem sich die Gläubigen u.a. mit einem Fragebogen mit zehn Fragen beteiligen sollen, doch dieser Prozess hat rein konsultativen Charakter und soll unter keinen Umständen das Führungsmonopol von Papst und Bischöfen in der Kirche in Frage stellen. Zwar sieht er Synodalität im Sinne von Begegnung und gegenseitigem Zuhören als zentrales Element von Kirche an, warnt jedoch zugleich nachdrücklich davor, dass eine Synode „kein Parlament“ sei. Eine echte (Teil-) Demokratisierung widerspricht also auch nach Franziskus’ dem letztlich wegen der nicht hinterfragbaren Autorität göttlicher Offenbarung und Glaubenswahrheit notwendigerweise hierarchischen Wesen der Kirche. Aus der Perspektive der vergleichenden Politikwissenschaft entspricht die Synodalität nach Franziskus (wie seinen Vorgängern) damit letztlich eher einer „Konsultativdemokratie“, wie sie ironischerweise etwa im autoritären System der Volksrepublik China zu finden ist.

Dass er mit dem deutschen Synodalen Weg nicht einverstanden ist, hat Franziskus u.a. dadurch gezeigt, dass er beim Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan im November letzten Jahres demonstrativ darauf verzichtete, diese wie ursprünglich geplant zweimal zu treffen. Bereits anlässlich dieses Besuchs beantworteten die Kurienkardinäle Ouellet und Ladaria das Eingangsreferat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing (Bischof von Limburg) mit deutlicher Kritik. Kardinal Ladaria identifizierte fünf grundsätzliche Probleme, welche Vatican News folgendermaßen zusammenfasste

„Erstens: Die bisherigen Texte seien wenig linear und stützten sich teilweise auf ‚nicht vollständig gesicherte’ Behauptungen; sie bedürfen aus seiner Sicht der Raffung durch ein Schlussdokument. Zweitens dürfe die Kirche nicht ‚von vornherein als eine strukturell Missbrauch hervorbringende Organisation’ betrachtet werden. Drittens solle der ‚Synodale Weg’ nicht den Eindruck vermitteln, an der kirchlichen Sexualmoral gebe es ‚fast nichts zu retten’, und schlechthin ‚alles müsse geändert werden’. Das vierte Bedenken des Kardinals bezieht sich auf die Forderung, die Debatte über eine Priesterweihe von Frauen offen zu halten. Hier verweist Ladaria auf den abschlägigen Bescheid Johannes Pauls II. in dieser Angelegenheit. Fünftens empfindet er die Texte des ‚Synodalen Wegs’ als lückenhaft, was das Lehramt und die Aufgabe der Bischöfe betrifft.“ 

Kardinal Ouellet verwies ergänzend darauf, dass der Synodale Weg zwar kreativ und mutig sei, warnet aber zugleich vor „einem drohenden ‚latenten Schisma’. Er wisse zwar, dass den Verantwortlichen des ‚Synodalen Wegs’ nicht an einem ‚Bruch mit der universalen Gemeinschaft der Kirche’ gelegen sei, sondern dass es ihnen um eine größere Glaubwürdigkeit der Diener des Evangeliums gehe. Dennoch lasse es ihn aufhorchen, ‚dass die Agenda einer begrenzten Gruppe von Theologen von vor einigen Jahrzehnten plötzlich zum Mehrheitsvorschlag des deutschen Episkopats geworden ist’. (...) Er äußert den Verdacht, dass das Missbrauchs-Thema instrumentalisiert werde, um Ideen nach vorne zu bringen, die damit nicht unmittelbar zusammenhingen. Die Vorschläge des ‚Synodalen Wegs’ zur katholischen Disziplin und Moral erscheinen dem kanadischen Kurienkardinal als zu weitgehend – als ob es da nicht nur um ‚pastorale Neuerungen’ ginge, sondern um eine ‚grundlegende Änderung’. Das verletze die kirchliche Gemeinschaft, weil es Zweifel und Verwirrung stifte. Es sei kein Wunder, dass auch viele Bischöfe aus aller Welt mit Staunen und Sorge auf das deutsche Reformprojekt reagierten, schließlich repräsentiere jeder Bischof ‚die Weltkirche in der ihm anvertrauten Teilkirche’ und garantiere ‚die Gemeinschaft seiner Teilkirche mit der Weltkirche’.“

Anlässlich des Ablehnungsbriefes zum Synodalen Rat unterstrich Franziskus außerdem jüngst in einem Interview, dass er den Synodalen Weg trotz guten Willens der Bischöfe als zu elitär und damit nicht dem eigentlichen Charakter einer echten Synode entsprechend ansehe und zudem seine Ideologisierung befürchte, etwa was den Umgang mit Homosexualität oder die Rolle der Frau in der Kirche angeht. 

2. Die Uneinigkeit der deutschen Bischöfe:

Der kuriale Brief vom Januar geht letztlich auf eine Anfrage von fünf deutschen Bischöfen – Rainer Maria Woelki (Köln), Gregor Maria Hanke (Eichstätt), Betram Meier (Augsburg), Stefan Oster (Passau) und Rudolf Voderholzer (Regensburg) - zurück, welche sich erkundigten, ob sie am geplanten Synodalen Ausschuss teilnehmen müssten oder auch nur dürften. Dass es sich dabei um Fragesteller handelt, die dem Synodalen Weg ohnehin eher skeptisch gegenüberstehen, ist offensichtlich. Ungewöhnlich ist, dass nicht nur die Mehrheit der deutschen Bischöfe trotz des kurialen Machtwortes am Synodalen Weg festhalten und die Reformdebatte weiterführen will, wobei stets negiert wird, dass es sich dabei um einen gefährlichen Sonderweg handle.

Bischof Bätzing hat sich in Reaktion auf das genannte Papst-Interview sogar direkt kritisch über Franziskus selbst geäußert, indem er ihm seinerseits in einem Zeitungsinterview einen schlechten Führungsstil vorwarf und es als nicht nachvollziehbar bezeichnete, wenn der Papst die angebliche Ideologisierung der Debatte beispielsweise an der Frage des Zölibats festmache, die bereits seit 60 Jahren diskutiert werde: „Das jetzt als ideologische Debatte zu bezeichnen, wo der Heilige Geist sozusagen fluchtartig den Raum verlässt - was soll das?“ Zugleich kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Bischofskonferenz auch seine fünf Amtsbrüder und bezeichnete ihre Kommunikation als „nicht gut und nicht klug“. Weiterer Streit, auch unter den deutschen Bischöfen, erscheint damit vorprogrammiert. 

3. Die konservative Position einer lauten Gruppe deutscher Katholiken:

Doch nicht nur unter den Bischöfen gibt es konservative Opposition gegen den Synodalen Weg und die damit verbundenen Reformvorstellungen. Laien und Theologen kritisieren den Prozess u.a. wegen seiner fehlenden Verankerung im Kirchenrecht, seiner potenziellen oder tatsächlichen Widersprüche gegen die katholische Glaubenslehre sowie die Gefährdung der Einheit der Weltkirche. Exemplarisch hierfür ist etwa die Bewegung „Maria 1.0“, welche zwar eine geistige Erneuerung der Kirche fordert, damit aber vor allem spirituelle Aspekte unter Beibehaltung der bestehenden Kirchenstrukturen und –regeln versteht. Die Gruppe wurde 2019 unter dem Motto „Maria braucht kein Update“ als Antwort auf die kirchenkritische Bewegung „Maria 2.0“ gegründet welche eher feministische Positionen vertritt.

Im August 2022 richtete „Maria 1.0“ einen offenen Brief an die Deutsche Bischofskonferenz, in dem der Synodale Weg u.a. dahingehend massiv kritisiert wurde, dass eine Abtreibungsbefürworterin daran teilnehme. Die Bischöfe wurden aufgefordert , „das von den Aposteln überlieferte Glaubensgut der Kirche rein und unverkürzt wiederzugeben, die Zusammenarbeit mit Frau Dr. Stetter-Karp zu beenden, sofern diese nicht nachhaltig bereit ist, ihre Haltung öffentlich zu revidieren und zur Lehre der Kirche über den Schutz ungeborenen Lebens zurückzukehren.“ Der Antwortbrief Bischof Bätzings wurde als nichtssagend und ausweichend zurückgewiesen. Es nimmt daher nicht wunder, dass der Brief aus Rom auch durchaus positiven Anklang unter den Gläubigen gefunden hat. 

4. Das strukturelle Problem der Weltkirche:

Unabhängig von den konkreten Streitpunkten und Parteiungen um den Synodalen Weg wird in der sich zuspitzenden Diskussion nicht zuletzt das grundsätzliche Problem für die Kurie deutlich, die Einheit einer zunehmend differenzierter werdende Weltkirche aufrecht zu erhalten. Zwar gibt es auch in anderen europäischen Ländern Bischofskonferenzen, welche – wenngleich etwas diplomatischer als im deutschen Fall - Reformen der Kirche diskutieren, etwa in Belgien, Österreich oder der Schweiz. Doch außerhalb Europas (und Nordamerikas) dominieren eher Kritik und Unverständnis für als allzu liberal wahrgenommene Reformansätze. Dies ist umso problematischer, als die Weltregionen, in denen die katholische Kirche noch wächst bzw. nicht so massiv an Mitgliedern verliert wie in den westlichen Demokratien, insbesondere Lateinamerika, Subsahara-Afrika oder Asien, eher konservative Überzeugungen die Kirche prägen.

So wie die deutsche katholische Kirche mit dem langfristig womöglich existenzgefährdenden Druck von Seiten eines großen Teils der hiesigen Gläubigen konfrontiert ist, sieht sich der Papst zunehmend zu einem Spagat zwischen Einheit der Weltkirche und den weltanschaulichen Eigenarten der Orts- und Regionalkirchen gezwungen, in dem potenziell zentrifugale Bestrebungen als nicht akzeptabel eingeschätzt werden. In diesem Sinn ist Franziskus’ Diktum vom letzten November, Deutschland habe „bereits eine große evangelische Kirche, ich möchte keine weitere“, der konzise Programmsatz seiner Kirchenpolitik und ihrer Gefahren.

  

Literatur/Links:

Cebuli, Christian (2020): Partizipation statt Depression. Debatte um den Synodalen Weg. Herder Korrespondenz 9/2020: 47-49, https://thchur.ch/app/uploads/cebulj-hk-9-2020.pdf .

Deutsche Bischofskonferenz/Zentralkomitee der deutschen Katholiken (2019): Satzung des Synodalen Weges. https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/Satzung-des-Synodalen-Weges.pdf&ved=2ahUKEwi9mJSpgb37AhWxi_0HHZzmD6oQFnoECB4QAQ&usg=AOvVaw3cTrKN4PgO8C9J2PvdHmcd .

Franziskus (2019): Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ vom 29. Juni 2019. https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019-108a-Brief-Papst-Franziskus-an-das-pilgernde-Volk-Gottes-in-Deutschland-29.06.2019.pdf&ved=2ahUKEwiGwIbpgb37AhXNh_0HHSq6DTQQFnoECBEQAQ&usg=AOvVaw1TYzU1ytBAcg-w76hfDH2K

Karger, Michael (2022): Der Synodale Weg: ein Zwischenfazit. Fernblick. Das Onlinemagazin von Theologie im Fernkurs 13/Juli 2022, https://www.fernblick-wuerzburg.de/ausgabe-13-juli-2022/der-synodale-weg-ein-zwischenfazit/ .

KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ (Hg.) (2020): Der Synodale Weg in Deutschland: „Das geht uns alle an!“. München: Wir sind Kirche e.v., https://www.wir-sind-kirche.de/files/wsk/2019/GR_SynodalerWeg_farbig.pdf .