Missouri: Eigenheiten und Probleme der US-Politik „in a nutshell“

In der letzten Woche hat im Parlament des US-Bundesstaates Missouri etwas stattgefunden, das sich mit Fug und Recht als exemplarisch für die Besonderheiten des US-amerikanischen politischen und Parlamentssystems sowie für die zutiefst gespaltene Parteienlandschaft in den Vereinigten Staaten interpretieren lässt. Was ist passiert? Im Senat des Bundesstaates in Jefferson City haben die Demokraten, die sich in beiden Häusern des Kongresses von Missouri in der Minderheit befinden, haben mithilfe eines „Filibusters“ in Rekordlänge von zuletzt 51 Stunden einen Gesetzentwurf der republikanischen Mehrheit zu Fall gebracht, mit dem verfassungsändernde Volksinitiativen in Missouri erschwert werden sollten. 

Der nicht unübliche filibuster, also das quasi endlose Debattieren im Senat, nutzt dabei eine Besonderheit im parlamentarischen Verfahren auf Bundes- und Bundesstaatenebene, wonach für eine erfolgreiche Abstimmung über die Beendigung einer Debatte nicht wie bei sonstigen Standardfragen üblich eine einfache 50%-, sondern eine qualifizierte 60%-Mehrheit notwendig ist. Nachdem es den Republikanern nicht gelang, eine solche Mehrheit zum Abbruch der Redebeiträge der Demokraten zu organisieren, waren diese in der Lage, den Geschäftsprozess des Senats tagelang quasi lahmzulegen, und zwar bis zur Beendigung der regulären Sitzungsperiode des Parlaments am Ende der Woche. Da das Gesetz bis dahin nicht verabschiedet war, gilt sein Entwurf nunmehr als hinfällig und müsste in der nächsten Sitzungsperiode neu eingebracht werden. 

Die demokratische Senatsminderheit hat damit faktisch etwas umgesetzt, was sonst üblicherweise vor allem vom Präsidenten und von Gouverneuren genutzt wird, nämlich eine Art pocket veto, mit dem der Chef der Exekutive ein vom Kongress beschlossenes Gesetz kippt, ohne sein formales Veto einzulegen, welches dann wiederum vom Parlament mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden könnte. Dabei vermeidet er es solange, das Gesetz zu unterschrieben und damit in Kraft zu setzen, bis die Parlamentsferien beginnen. Das Gesetz gilt dann als erledigt, ohne dass das Parlament das faktische Veto des Präsidenten bzw. Gouverneurs noch überstimmen kann. Prinzipiell nichts anderes haben die Demokraten in Missouri nun durchexerziert. 

Neben diesen parlamentarischen Verfahrenstricks ist der eigentlich Hintergrund des Gesetzentwurfs ebenso symptomatisch für die aktuellen und grundsätzlichen Schwierigkeiten des US-Parlamentarismus. Wie in anderen Bundesstaaten sind die Parteien, vor allem die Republikaner mit ihrer tendenziell gegenüber den Demokraten kleiner werdenden Stammwählerschaft (vereinfacht typischerweise weiße Männer der Unter- und Mittelschicht bzw. überdurchschnittlich Schwarze und Latinos, Frauen und Höhergebildete), bestrebt, ihre Wahlchancen durch den Zuschnitt von Wahlkreisen anhand von für sie positiven demographischen Faktoren zu verbessern. Dieses gerrymandering findet auch in Missouri statt, so dass sich im dortigen Parlament eine gewisse Schieflage hinsichtlich der Repräsentation verschiedener Bevölkerungsgruppen ergibt. 

Ein Korrektiv für die daraus resultierenden verzerrten Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat war bislang die Möglichkeit einer Volksinitiative zur Änderung der Verfassung des Bundesstaates, etwa in Bezug auf das gegenwärtig heftig umstrittene Abtreibungsrecht. Die Republikaner in Missouri haben nun versucht, die Hürden für den Erfolg eines solchen Referendums zu erhöhen, indem sie die Verfassung dahingehend ändern wollten, dass dafür zukünftig neben der Mehrheit der Stimmen im ganzen Staat auch eine Mehrheit der Stimmen in der Mehrheit der acht Kongressdistrikte nötig sein sollte. Nachdem durch die jüngste Wahlkreisreform die Zahl der strukturell den Republikanern zuneigenden Distrikte von fünf auf sechs erhöht wurde, erhoffte man sich offenbar davon die Chance, der Partei nicht genehme Volksinitiativen so aushebeln zu können.  

Dieses Vorhaben ist nun zunächst gescheitert und wohl grundsätzlich als Erfolg für die Befürworter direktdemokratischer Ergänzung und Kontrolle der parteipolitisch geprägten parlamentarischen Gesetzgebung zu werten. Zugleich unterstreicht das Beispiel Missouri wie überhaupt der zunehmende Rückgriff auf das Instrument des Filibuster, wie extrem polarisiert, demokratiegefährdend ideologisiert und für Sonderinteressen instrumentalisiert das politische System der USA im Präsidentschaftswahljahr dasteht.   

  

Links/Literatur

Marziani, Mimi (2010): Filibuster Abuse. New York: Brennan Center for Justice, New York University School of Law, https://www.brennancenter.org/media/274/download .

Tausanovitch, Alex/Berger, Sam (2019): The Impact of the Filibuster on Federal Policymaking. Washington D.C.: Center for American Progress, https://www.americanprogress.org/wp-content/uploads/sites/2/2019/12/Impact-Of-Filibuster.pdf .