Staatsreform à la Meloni

Während Giorgia Meloni als Ministerpräsidentin („Präsidentin des Ministerrates“/“Presidente del Consiglio dei ministri“) außenpolitisch – durchaus erfolgreich – bemüht ist, das Profil und die Bedeutung Italiens in der internationalen Politik zu stärken, etwa im Rahmen des Vorsitzes der G7 (an deren letzten Sitzung auf ihre Einladung hin sogar zum ersten Mal der Papst teilnahm) oder der Europäischen Union (bei der Unterstützung der Ukraine oder als potenzielle „Königsmacherin“ bei der anstehenden (Wieder-) Wahl der Kommissionspräsidentin über die gestärkte Präsenz der Fratelli d’Italia (FdI) im Europäischen Parlament), hat auch die Umsetzung ihrer innenpolitischen Agenda Fahrt aufgenommen.  Vor einer Woche verabschiedete der italienische Senat den ersten Teil der geplanten Verfassungsreform, der „Madre di tutte le reforme“ , mit der der italienische Staat grundlegend umgebaut werden soll. 

Das Verfassungsreformprogramm Giorgia Melonis sieht drei Hauptpunkte vor:

1. Die Stabilisierung und Stärkung der italienischen Regierung. Dazu soll zukünftig der/die Ministerpräsident/-in direkt vom Volk gewählt werden; außerdem soll die Regierungsfähigkeit durch einen Stimmenbonus der als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehende Gruppierung (deren Spitzenkandidat/-in Regierungschef/-in wird) automatisch 55 Prozent der Sitze in beiden Häusern des Parlaments erhalten. So soll die Stabilität der notorisch kurzatmigen italienischen Regierungen mit einer durchschnittlichen Amtsdauer von lediglich gut einem Jahr seit 1946 gewährleistet werden. Die bisherige Möglichkeit des italienischen Staatspräsidenten, im Fall eines Vertrauensentzugs oder Rücktritts des Ministerpräsidenten eine Technokratenregierung einzusetzen (wie etwa diejenige Mario Draghis 2021/22), soll verschwinden. Die Optionen des Staatspräsidenten sollen darauf beschränkt werden, entweder den scheidenden Regierungschef wieder einzusetzen, einen anderen Ministerpräsidenten mit parlamentarischer Mehrheit zu ernennen oder Neuwahlen anzusetzen. 

2. Die Effektivitätssteigerung des Justizwesens. Um die erhebliche Ineffizienz der italienischen Justiz mit ihren zahlreichen, überlangen und teilweise politiklähmenden Prozessen bzw. Prozessandrohungen zu reduzieren, soll plant Meloni folgende Maßnahmen: Erstens soll der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs abgeschafft werden, nachdem er aus Sicht der Regierung (und nicht nur dieser) dazu führt, dass Politik und Verwaltung aus Angst, von übereifrigen Staatsanwälten angeklagt zu werden, Entscheidungen verzögern oder sich ganz davor drücken („la paura della firma“/ „Angst vor der Unterschrift“), bzw. die wegen Personalnot und komplizierter Prozessregeln ohnehin überlasteten Gerichte mit langjährigen Prozessen überfrachtet werden, die zu 90 Prozent ohnehin mit einem Freispruch enden. Zweitens soll die Aufsicht über die Richter und Staatsanwälte verändert werden: Bislang erfolgt diese auf der Basis einer – auch im Vergleich mit Deutschland – sehr weitreichenden Autonomie der Justiz durch das Selbstverwaltungsorgan des Obersten Richterrats („Consiglio Superiore della Magistratura“ (CSM)), welcher von den Richtern und Staatsanwälten gewählt wird. Aus der Sicht der Regierung führt dies dazu, dass die Aufsicht, inklusive etwaiger Disziplinarmaßnahmen gegen inkompetente oder unproduktive Richter, zu lasch ausfällt, da die gewählten Mitglieder des CSM ihre potenziellen Wähler nicht verprellen wollen. Deshalb soll der CSM für Disziplinarfragen durch ein vom Parlament gewähltes Gremium ersetzt werden. Drittens soll die Öffentlichkeit von Untersuchungsverfahren und Anklageschlüssen eingeschränkt werden. Nachdem es in Italien bislang legal ist, bereits vor dem Beginn eines Gerichtsprozesses aus Ermittlungsakten zu zitieren, führt dies häufig zu medialer Vorverurteilung angehender Angeklagter und damit zu einer Beeinträchtigung der Unschuldsvermutung. Die Regierung will diese Möglichkeit der Presse gesetzlich beschränken.       

3. Die weitere Föderalisierung Italiens. Mit dem ebenfalls vom Senat abgesegneten „Gesetz über die differenzierte Autonomie“ sollen die italienischen Provinzen die Möglichkeit erhalten, zukünftig zusätzliche Kompetenzen vom Zentralstaat übertragen zu bekommen, etwa im Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrswesen sowie in der  Umwelt- und Energiepolitik. Damit werden nun alle Provinzen in etwa auf das Autonomieniveau der bisher bereits bestehenden Provinzen mit Sonderstatut (Sardinien, Sizilien, Trentino-Südtirol, Friaul-Julisch Venetien, Aostatal) gehoben.

Die Regierung Meloni begründet diese Reformen mit der notwendigen Modernisierung und Effizienzsteigerung des italienischen Staates auf der einen und dem (mehr oder weniger antilinken) Volkswillen, wie er sich in den Wahlerfolgen der Rechten niederschlägt. Kritiker hingegen interpretieren sie als Schritte in Richtung eines autoritären Systems, nämlich dadurch, dass Exekutivlastigkeit und Stärkung der Regierung gefördert, die ausgleichende Funktion des Staatspräsidenten weitgehend eliminiert und die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Kontrollmöglichkeiten durch die mediale Öffentlichkeit eingeschränkt werden. Dies erinnert an entsprechende Bemühungen der mittlerweile abgewählten PiS-Regierung in Polen oder den Umbau des ungarischen Staates durch Viktor Orbán. Aus Sicht der Kritiker wirft Giorgia Meloni damit zentrale Lehren aus dem Faschismus über Bord und wandelt gar auf den Spuren Mussolinis. Durch das System garantierte sichere Mehrheiten im Parlament könnten beispielsweise für eine weitere Verschärfung der Migrationspolitik oder des erzkonservativen Kulturkampfes gegen liberalen Pluralismus, „linke“ Kultur und Rechte von LGBTQ genutzt werden, etwa durch die staatliche Medienpersonalpolitik, sowie zur stillschweigenden Relativierung und Relegitimierung des Faschismus und neofaschistischer Bewegungen

Zugleich gibt es die Sorge um eine wachsende Schere zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden Italiens, auch wenn die Autonomiereform zentralstaatlich festzulegende Mindeststandards vorsieht. Nicht umsonst wird es von der Lega als großer Erfolg gefeiert, deren Agenda seit ihrer Gründung als „Lega Nord per l’indipendenza della Padania“ 1991 stets die Reduzierung der Umverteilung unter den italienischen Provinzen zugunsten des Südens beinhaltete. Umgekehrt bezweifeln skeptische Stimmen, dass die Föderalisierung angesichts von Garantien und Sicherheiten überhaupt wirksam sein kann.

Unabhängig von der tatsächlichen Effektivität der Verfassungsreform ist sie aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive deshalb so interessant, weil sie quasi ein Musterbeispiel für die Grundelemente einer rechtspopulistischen Programmatik ist: Nicht nur strebt sie einen stärker autoritär geprägten Staat auf der Basis des (als einfache Mehrheit verstandenen und alles legitimierenden) „Volkswillens“ mit einer entsprechenden Begrenzung von Opposition und Gewaltenteilung an. Sie propagiert und fördert zugleich eine (primär ökonomische und administrative) Liberalisierung und damit Reduzierung sozialstaatlicher Schranken und Pflichten des Staates. Ob daraus freilich gleich ein Abgleiten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einen faschistischen Führerstaat abzuleiten ist, bleibt abzuwarten.  

In jedem Fall ist noch gar nicht sicher, dass Giorgia Meloni mit ihrer Verfassungsreform am Ende erfolgreich sein wird. Nachdem in den beiden Häusern des Parlaments keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht werden dürfte, muss das Projekt von den Italienerinnen und Italienern in einer Volksabstimmung befürwortet werden. Dass dies gelingt, ist angesichts des sich formierenden parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Widerstands sowie mehr oder weniger heimlichen Zweifeln auch innerhalb der Regierungskoalition – gerade, was die Autonomiereform angeht, die etwa bei einigen Vertretern der FdI als Schwächung des italienischen Nationalstaats gesehen wird – aber durchaus fraglich. Nicht umsonst sind bereits 2006 (unter Silvio Berlusconi) und 2016 (unter matteo Renzi) Verfassungsreferenden ähnlichen Zuschnitts deutlich gescheitert. Und Renzi musste danach sogar als Ministerpräsident zurücktreten...

   

Literatur/Links

Christen, Christian (2001): Italiens Modernisierung von Rechts: Berlusconi, Bossi, Fini oder die Zerschlagung des Wohlfahrtsstaates. Berlin: Dietz, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Schriften/italien.pdf .

Laruffa, Francesco (2023): Neofaschismus in Italien? Neoliberalismus, hegemoniale Krise und progressive Alternativen. Denknetz, Januar 2023, https://www.denknetz.ch/wp-content/uploads/2023/01/202301_Laruffa.pdf

Vogel, Steffen (2024): Giorgia Meloni und der schleichende Weg in den autoritären Staat. Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2024: 13-16, https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/januar/giorgia-meloni-und-der-schleichende-weg-in-den-autoritaeren-staat