Der Papst spricht Tacheles zur Ukraine – irgendwie...

Dass Papst Franziskus bei aller immer wieder geäußerter Sorge um die humanitären Kosten und Opfer des Ukrainekrieges und seinen Forderungen nach einer sofortigen Einstellung der Kämpfe bislang immer wenig Anstalten gemacht hat, die russische Aggression unmissverständlich zu verurteilen, geschweige denn das ukrainische Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen, ist wiederholt kritisiert worden. Dabei erlaubt die katholische Soziallehre, niedergelegt etwa im Katechismus der katholischen Kirche, ausdrücklich die verhältnismäßige und völkerrechtskonforme Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff und betont sogar, dass diejenigen, „die sich als Militärangehörige in den Dienst ihres Vaterlandes stellen, (...) die Sicherheit und Freiheit der Völker [verteidigen]. Wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen, tragen sie zum Gemeinwohl der Nation und zur Erhaltung des Friedens bei.“ 

Vor ein paar Tagen hat Franziskus nun wieder einmal auf den „Wahnsinn“ des Krieges hingewiesen, den so viele Unschuldige mit ihrem Leben bezahlen müssten – und ausgerechnet die am 20. August in Moskau einem Autobombenattentat zum Opfer gefallenen Darya Dugina, eine glühende Verteidigerin des Angriffskriegs gegen die Ukraine und Tochter des neofaschistischen Theoretikers des russischen Neo-Eurasianismus, Aleksandr Duin (dessen ideologische Überzeugungen sie teilte), als Beispiel dafür angeführt. Dass der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl daraufhin öffentlichkeitswirksam anmahnte, Opfer und Täter nicht in den gleichen Topf zu werfen, hat die päpstliche Diplomatie nun offenbar zu einer Reaktion gezwungen. Gestern, am 30. August, veröffentlichte das Presseamt des Heiligen Stuhls eine Erklärung, in der darauf hingewiesen wird, dass „die Worte des Heiligen Vaters zu diesem dramatischen Thema als eine Stimme zu verstehen sind, die zur Verteidigung des menschlichen Lebens und der damit verbundenen Werte erhoben wird, und nicht als eine politische Haltung. Was den von der Russischen Föderation angezettelten Krieg in der Ukraine betrifft, verurteilt Papst Franziskus ihn klar und deutlich als moralisch ungerecht, inakzeptabel, barbarisch, sinnlos, widerwärtig und gotteslästerlich.“

Diese deutliche Aussage und Positionierung des Heiligen Stuhls ist neu. Bislang haben sich das katholische Kirchenoberhaupt und die Kurie eher vorsichtig und unter Verweis auf die allgemeine moralische Verwerflichkeit von Krieg und Gewalt zum Ukrainekrieg geäußert. Allerdings ist zu bezweifeln, dass diese Novität gleichbedeutend mit einer diplomatischen Kehrtwendung ist. Schließlich ist die Pressemitteilung sicherlich mit dem Papst und dem Staatssekretariat abgestimmt, aber sie ist eben auch keine persönliche Äußerung Franziskus’ selbst. Der Papst hat bislang immer wieder eine Haltung an den Tag gelegt, die die traditionelle politische Neutralität des Heiligen Stuhls und sein humanitäres Hauptanliegen unterstreicht. Letztlich geschieht dies auch in der vorliegenden Presseerklärung.

Damit folgt Franziskus der Tradition strikter formeller Neutralität, wie sie etwa Benedikt XV. im Ersten und Pius XII. im Zweiten Weltkrieg an den Tag gelegt haben, und unterscheidet sich deutlich von den bisweilen geradezu kämpferisch anmutenden, moralisch begründeten politischen Positionierungen Johannes Pauls II. zu internationalen Konflikten. Dies mag mit einer grundsätzlichen, auch persönlichen Distanzierung Franziskus’ gegenüber den machtpolitischen Niederungen der internationalen Politik geschuldet sein – mittel- und langfristig ist dies jedoch nicht dazu angetan, die ethisch-moralische Glaubwürdigkeit des Vatikans zu stützen. Denn eine solche Position kann entweder als naives Ignorieren der Interaktion von Moral, Recht und Macht im internationalen Kontext angesehen werden, oder im schlimmsten Fall sogar als stillschweigendes Appeasement eines mächtigen Aggressors mit all seinen negativen menschenrechtlichen und moralischen Folgen. 

Dass dies möglicherweise in gutem Glauben und im Bemühen darum geschieht, den potenziellen Gesprächsfaden für eine Friedenslösung nicht abreißen zu lassen, macht die Sache kaum besser: Gestern wurde auch bekannt, dass der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I., der als kremltreuer Kriegsbefürworter bekannt ist, seine geplante Kasachstan-Reise im September abgesagt hat. Damit entfällt auch ein mögliches Treffen Franziskus’, der das Land zur gleichen Zeit besuchen wird, mit Kyrill I., von dem sich manche Beobachter neue Impulse für eine Vermittlung und Verhandlungslösung des Krieges erhofften.