Die neue Front in Afrika

An diesem Sonntag läuft das Ultimatum aus, welches die Staaten der westafrikanischen Gemeinschaft (ECOWAS) unter Führung Nigerias den Putschisten in Niger gesetzt haben, um den am 26. Juli abgesetzten, demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum wieder in sein Amt einzusetzen. Bei einem Scheitern der seit einigen Tagen laufenden Verhandlungen und einem Verstreichen der Frist droht nach den Aussagen der ECOWAS eine militärische Intervention, welche auch größere Kreise ziehen könnte. 

Denn einerseits hat Frankreich bereits implizit angekündigt, eine militärische Operation in Niger zu unterstützen – Frankreich hat dort dauerhaft rund 1.500 (gegenwärtig bis zu 2.000) Soldaten stationiert – ,und auch den USA, die einen wichtigen Stützpunkt für Drohnenoperationen bei Agadez im Zentrum des Landes betreiben, dürfte die Wiederherstellung der demokratischen Verfassung ein großes Anliegen sein. Die von den USA und der EU verhängten Sanktionen (bzw. deren Unterstützung der ECOWAS-Sanktionen) gegen die Junta in Niamey, etwa das Einfrieren der Entwicklungszusammenarbeit durch die Vereinigten Staaten und verschiedene EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich und Deutschland, deuten darauf hin, dass ein robusteres Vorgehen gegen die Putschisten durchaus auf Wohlwollen im Westen stoßen würde.   

Andererseits haben die Militärregierungen Burkina Fasos und Malis, deren ECOWAS-Mitgliedschaft nach den Putschen von suspendiert wurde, bereits ihre militärische Unterstützung der nigrischen Junta angekündigt, und auch Algerien, als nördlicher Nachbar Nigers sähe eine Intervention dort als gravierende Bedrohung der nationalen Sicherheit an, auch wenn es öffentlich bislang kein militärisches Eingreifen erwägt. 

Warum ist der Fall Nigers anders gelagert als derjenige in Burkina Faso und Mali, bei denen die Machtübernahme des Militärs im September 2022 bzw. Mai 2021 trotz massiver ECOWAS-Sanktionen keine so heftigen diplomatischen, ökonomischen und womöglich militärischen Reaktionen nach sich zog? Dies liegt zunächst an drei Punkten: 

- Niger ist nicht nur einer der ärmsten Saaten der Sahel-Zone, sondern das demographisch am schnellsten wachsende Land der Welt, mit entsprechend prekärer sozioökonomischen Lage; ein erneutes Scheitern eines mühsam initiierten Demokratisierungsprozesses wäre nicht nur ein fatales Signal an die übrigen Länder der Region, sondern könnte ein humanitäres Desaster nach sich ziehen, nicht zuletzt, wenn islamistische Terrorgruppen wie Boko Haram aus dem politischen Chaos Gewinn schlagen. Dies dürfte im Übrigen auch ein Hauptmotiv für das martialische Auftreten der nigerianischen Führung sein, nachdem auch die an Niger grenzenden Nordprovinzen Nigerias ein massives Problem mit Boko Haram haben.  

- Neben der Problematik des terroristischen Islamismus ist Niger in sicherheitspolitischer Hinsicht für die Europäische Union von großer Bedeutung, weil er ein zentrales Transitland für unkontrollierte Migrationsbewegungen aus Subsahara-Afrika nach Libyen und an das Mittelmeer ist. Die EU hat entsprechend mit der demokratischen Regierung Abkommen angeschlossen, in welchen der Regierung finanzielle, entwicklungsökonomische und administrative Unterstützung gegen eine Unterbindung dieser Wanderungsströme zugesichert wird. 

- Gleichzeitig verfügt das Land über große Uranvorkommen, welche insbesondere für die französische Atomindustrie und damit die europäische Energieversorgung von großer Bedeutung sind. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die nigrische Uranförderung im globalen Maßstab keineswegs so bedeutend ist und mit Ländern wie Kasachstan, Kanada oder Australien mehr als ausreichende Alternativquellen zur Verfügung stehen, allerdings nicht in der Hand französischer Konzerne und wohl zu höheren Preisen. Von einer gefährlichen Abhängigkeit Europas kann jedoch keine Rede sein.

Aus einem breiteren Blickwinkel ist jedoch viel bedeutsamer, dass der Putsch in Niger wie diejenigen in Burkina Faso und Mali Teil des mittlerweile fast global ausgetragenen Stellvertreterkonflikts zwischen dem Westen und Russland ist. Denn es gibt in den letzten Jahren sehr aktive russische Bemühungen um Afrika, wie jüngst wieder beim Russland-Afrika-Gipfel in Moskau im Juli deutlich wurde. Zwar wurde im Westen darauf hingewiesen, dass der Gipfel wenig Konkretes an Ergebnissen brachte, insbesondere was die (von Russland abgelehnte) afrikanische Friedensinitiative im Ukrainekrieg angeht, und lediglich 17 anstatt wie 2019 43 afrikanische Staats- und Regierungschefs (von 54) teilnahmen. Dabei wird aber leicht übersehen, dass gleichwohl Delegationen aller afrikanischen Staaten und der AU, mit Ausnahme Nigers (wo gleichzeitig der Putsch stattfand), Kenia (das sich von der AU repräsentieren ließ), Botswanas, Liberias und Sierra Leones - nach anderer, prorussischer Quelle waren Benin, Djibouti, Guinea-Bissau, Liberia, Niger und Somalia nicht vertreten – an dem Gipfel teilnahmen. Dabei bemühte sich die russische Führung durch eine ganze Reihe von Angeboten um das Wohlwollen der afrikanischen Staaten, etwa durch die Ankündigung kostenloser Getreidelieferungen an die ärmsten Staaten Afrikas und die Abwicklung von russischen Agrarexporten in nationaler Währung und in Rubel (statt in harten Devisen wie US-Dollar oder Euro), umfangreiche Erlasse von Auslandsschulden sowie Kooperation bei der Energieversorgung, beim Handel und bei der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Russland hat nach Aussage Vladimir Putins außerdem mittlerweile mit 40 afrikanischen Staaten militärisch-technische Abkommen geschlossen, die u.a. Waffenlieferungen und Ausbildungshilfe vorsehen. 

Auch Algerien spielt in dieser Konstellation keine unerhebliche Rolle, denn die Regierung von Präsident Tebboune gehört zu den engsten Partnern Russlands in Afrika. Zwar hat die russische Invasion der Ukraine dazu geführt, dass sich Algerien zunächst etwas von Moskau distanziert hatte; mittlerweile sind beide Seiten jedoch übereingekommen, ihre politische, ökonomische und militärische Zusammenarbeit weiter zu stärken.

Eine wichtige Funktion hat dabei wohl auch die Söldnertruppe der Wagner-Gruppe, die bereits beispielsweise in Mali die westlichen Truppen und diejenigen der MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen und ECOWAS ersetzt hat. Dabei profitiert die russische Seite nicht zuletzt davon, dass die ehemalige Kolonialmacht und der jahrzehntelange „Gendarm Afrikas“ nach dem Kalten Krieg und insbesondere seit den 2000er Jahren deutlich an Einfluss verloren und zunehmend unbeliebt geworden ist, nicht zuletzt aufgrund der weiterbestehenden sozioökonomischen Probleme in der Region und die als neoimperialistisch empfundene militärische und wirtschaftliche Präsenz Frankreichs. Ein wesentliches offizielles Argument der Putschisten in Niger (und darüber hinaus) war, dass sich die bisherige Regierung viel zu eng an die EU und Frankreich gebunden habe und so den nationalen Interessen des Landes zuwidergehandelt habe. Unter dem Einfluss russischer Propaganda gibt es auch immer wieder antifranzösische und prorussische Demonstrationen, nicht nur in Niger, sondern in vielen Ländern des Kontinents. 

Möglicherweise ist das Engagement von Wagner in Afrika auch einer der entscheidenden Gründe dafür, dass die russische Führung nach dem Putschversuch im Juni nicht härter gegen die Gruppe und ihren Chef Prigoschin vorgegangen ist, welcher übrigens einen vielbeachteten Auftritt am Rande des Russland-Afrika-Gipfels hatte. Schließlich ermöglicht Wagner es der russischen Afrikapolitik, offiziell eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Niger zu fordern und gleichzeitig vor Ort inoffiziell hard power zu antiwestlichen Zwecken einzusetzen. Angesichts der militärischen Drohung eines ECOWAS-Einmarsches haben die Putschisten in Niger denn auch bereits um Unterstützung durch die Wagner-Gruppe ersucht.

Es bleibt abzuwarten, ob nun tatsächlich eine militärische Eskalation in Westafrika stattfinden wird; tatsächlich scheint dies angesichts der prekären innen- und wirtschaftspolitischen Lage vieler ECOWAS-Staaten inklusive Nigerias und deren stark begrenzter militärischer Fähigkeiten keineswegs eine ausgemachte oder gar erfolgversprechende Sache zu sein, zumindest nicht ohne starke Unterstützung durch westliche, sprich: französische Kräfte. Schlimmstenfalls könnte ein großflächiger Krieg in Westafrika drohen, einschließlich des ersten direkten Aufeinandertreffens von Wagner- und westlichen (französischen) Truppen. (Die Bundeswehr hat gegenwärtig nur etwa 100 Soldaten in Niger, die sich bislang in erster Linie um den Abzug des deutschen Kontingents aus Mali kümmern.) Unabhängig vom konkreten Ausgang der aktuellen Krise ist aber klar, dass Afrika und die Sahelzone auf absehbare Zeit eine wichtige Front im Kampf Russlands gegen den Westen geworden sind – potenziell mit einem lachenden Dritten: China.