War der Abschuss des chinesischen Ballons legal?
Der Abschuss eines vermeintlichen chinesischen Spionageballons über den Hoheitsgewässern der U.S.-Ostküste durch die U.S. Air Force am 5. Februar hat zu gravierender diplomatischer Verstimmung zwischen der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten geführt. Neben dem größeren Kontext des globalen Konkurrenzkampfes der beiden Großmächte und insbesondere des Wirtschafts- und Technologie-„Krieges“ der USA gegen China spielt dabei auch die völkerrechtliche Bewertung des Vorfalls eine Rolle, zumindest für die öffentliche Meinung in beiden Staaten und darüber hinaus.
Wie sehen also die völkerrechtlichen Perspektiven aus? Unbestritten ist zum einen, dass der Luftraum eines souveränen Staates nur mit dessen Zustimmung, sei es durch einen Vertrag oder eine ad hoc-Genehmigung von Luftfahrzeugen anderer Staaten genutzt werden darf. Es gibt für Luftfahrzeuge als kein Recht auf friedlichen Durchflug analog zum in der Seerechtskonvention von 1982 (UNCLOS) festgelegten Recht auf friedliche Durchfahrt durch die Hoheitsgewässer von Staaten für Schiffe. Zum anderen ist auch klar, dass die Grenzen des Luftraums durch die senkrechte Projektion der Territorialgrenzen (inklusive der Grenze der Hoheitsgewässer 12 Seemeilen jenseits der Niedrigwasserlinie) definiert sind. Wo der Luftraum und damit das Hoheitsgebiet eines Staates endet und in den souveränitätsfreien Weltraum übergeht, ist nicht abschließend geklärt, jedoch befand sich der chinesische Ballon mit einer Flughöhe von etwa 18 Kilometern - typische Flughöhen von Beobachtungsballons reichen bis zu 37 Kilometern - gemäß üblichen Abgrenzungen wie der Karman-Linie (100 km) ohne Zweifel im Luftraum der USA.
Die weitere völkerrechtliche Einordnung ist jedoch völlig unterschiedlich. Die chinesische Seite betont nachdrücklich, es habe sich lediglich um einen Wetterballon und keineswegs, wie von den „hysterischen“ westlichen Medien (und der US-Regierung) behauptet, um einen Spionageballon gehandelt. Der Ballon habe ausschließlich zivilen, hauptsächlich meteorologischen Zwecken gedient und sei als nur begrenzt steuerbares Gefährt aufgrund „höherer Gewalt“ außer Kontrolle und so in das Territorium der USA geraten. Der Abschuss des Ballons als „ziviles unbemanntes Luftschiff“ stelle damit eine „Überreaktion“ und eine „ernste Verletzung“ internationaler Regeln dar. Damit spielt die chinesische Regierung auf Art. 3a der Konvention über internationale Zivilluftfahrt („Chicago-Konvention“) von 1944 an, die mittlerweile alle UN-Mitgliedsstaaten einschließlich der USA und Chinas ratifiziert haben. Dort ist festgehalten, dass sich jeder Staat des Waffeneinsatzes gegen zivile Luftfahrzeuge im Flug zu enthalten hat. Zudem findet sich in Art. 2 des Anhangs 4 zum Annex 2 des Abkommens der Hinweis, dass unbemannte ungesteuerte Ballons „mit Ausnahme leichter Ballons, die ausschließlich für metereologische Zwecke genutzt werden“ nicht ohne Autorisierung durch den betreffenden Staat über dessen Gebiet eingesetzt werden dürfen. Der Überflug eines leichten Wetterballons über die USA wäre demnach gar nicht genehmigungspflichtig und sein Abschuss als Zivilfahrzeug illegal gewesen.
Demgegenüber beharren die USA darauf, dass es sich bei dem Ballon um ein Spionageinstrument im Rahmen eines großangelegten internationalen Spionagesystems Chinas gehandelt habe. Trifft dies zu, so wäre der Ballon kein ziviles Luftfahrzeug, sondern ein staatliches gewesen, welches durch die Chicago-Konvention ausdrücklich nicht geschützt wird (Art. 3), und die USA waren völlig im Recht, ihre „vollständige und ausschließliche Souveränität“ (Art. 1) über ihren Luftraum auch mit Waffengewalt durchzusetzen. Entsprechend wäre auch der Hinweis auf den Ausnahmefall eines leichten Wetterballons irrelevant, zumal es im betreffenden Abschnitt des Konventionsanhangs explizit heißt, dass ein solcher Ballon „ausschließlich“ und nicht, wie von der chinesischen Seite geäußert, „hauptsächlich“ meteorologischen Zwecken dienen muss und überdies in Art. 1 von Annex 2, Anhang 4 ein „leichter Ballon“ so definiert ist, dass er eine Nutzlast von maximal vier Kilogramm aufweisen darf. Nachdem der chinesische Ballon aber wohl einen Durchmesser von über 60 Metern und eine Last in Größe von zwei bis drei Reisebussen und mehreren tausend Pfund Gewicht aufwies, entspricht er ziemlich deutlich nicht diesen Vorgaben.
Was folgt daraus? Nach den vorliegenden Medieninformationen scheint alles darauf hin zu deuten, dass der chinesische Argumentation eine überzeugende Basis fehlt. Entsprechend dürfte der Abschuss des Ballons völkerrechtlich in Ordnung gewesen sein.
Literatur/Links:
Convention on International Civil Aviation of 7 December 1944, https://www.icao.int/publications/Documents/7300_cons.pdf .
Annex 2 to the Convention on International Civil Aviation: Rules oft he Air, amended edition of 24 February 2005, https://www.icao.int/Meetings/anconf12/Document%20Archive/an02_cons%5B1%5D.pdf .