Palästina und der IStGH

Weniger prominent in der Berichterstattung, aber von seiner konkreten Wirkung potenziell sogar bedeutender als die gegenwärtigen Verfahren gegen Israel bzw. bezüglich der gutachterlichen Bewertung der israelischen Besatzungspolitik vor dem Internationalen Gerichtshof sind die Ermittlungen durch den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH/ICC – International Criminal Court), welche im Kontext des Gaza-Krieges laufen oder gegenwärtig angestrengt werden. Tatsächlich stehen mögliche Kriegsverbrechen in Palästina bereits längerem auf der Tagesordnung des ICC. Mit dem Beitritt Palästinas zum Statut des Strafgerichtshofs im Januar 2015 wurden die Anzeigen möglicher Verbrechen unter der Jurisdiktion des ICC, die ab dem 13. Juni 2014 beim Staatsanwalt/Chefankläger eingegangen waren. Im Mai 2018 verwies Palästina die „Situation im Staat Palästina“ zur möglichen Untersuchung an die Strafverfolgungsbehörde des IStGH. 

Bereits 2020 kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass es klare Hinweise darauf gebe, dass es seit Juni 2014 sowohl in Gaza (etwa während der Operation „Protective Edge“ im Juli und August 2014) als auch im Westjordanland im Kontext der israelischen Besatzungspolitik Kriegsverbrechen von israelischen Behörden, der IDF, der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen gekommen ist, beispielsweise unverhältnismäßige Angriffe, die Tötung ziviler Demonstranten oder Attacken auf Personen und Gebäude unter dem Schutz-Emblem laut Genfer Konventionen (z.B. Rotes Kreuz bzw. Roter Halbmond) durch die IDF, die Ansiedlung israelischer Zivilisten in der West Bank durch die israelischen Behörden, oder Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte, willkürliche Tötungen und Folter durch die Hamas und palästinensische Milizen. Nachdem der IStGH nur komplementär zu nationalen Strafverfolgungsbehörden tätig werden kann, ergaben sich dabei Vorbehalte bezüglich seiner Zuständigkeit für mögliche IDF-Verbrechen angesichts der noch unklaren Informationslage bezüglich der diesbezüglichen Aktivitäten der israelischen Militärstaatsanwaltschaft; unmittelbar zuständig erachtete die ICC-Staatsanwaltschaft den Gerichtshof jedoch bei den potenziellen Kriegsverbrechen der Hamas und der bewaffneten Palästinensergruppen  (Prosecution Request vom 22.1.2020, S. 53f.). Nachdem der Gerichtshof im Februar 2021 auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft seine Zuständigkeit festgestellt hatte, bestätigte die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda am 3. März 2021, nunmehr entsprechende Ermittlungen durchzuführen; zugleich wurde auf die Ergebnisse der Voruntersuchungen seit Ende 2019 verwiesen, welche auf mögliche Kriegsverbrechen der genannten Akteure hindeuteten. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hatte schon zuvor, im Februar 2021 auf diese Möglichkeit reagiert, indem er Untersuchungen des ICC gegen Israelis als „reinen Antisemitismus“ kritisierte und polemisch darauf verwies, dass „the court established to prevent atrocities like the Nazi Holocaust against the Jewish people is now targeting the one state of the Jewish people.” Ähnlich hatte er sich bereits im Dezember 2019 geäußert, was Fatou Bensouda im Januar 2020 klar von sich wies. Die Hamas begrüßte ebenfalls im Dezember 2019 die Voruntersuchungen der Chefanklägerin, freilich ohne diejenigen gegen sie selbst zu erwähnen.

Der gegenwärtige Gaza-Krieg und die Unruhen im Westjordanland haben nun zu einer Reihe weiterer akuter Hinweise auf Kriegsverbrechen beim ICC geführt. So haben am 17. November 2023 fünf Staaten, nämlich Südafrika, Bangladesh, Bolivien, die Komoren und Djibouti, eine entsprechende Eingabe beim aktuellen Staatsanwalt des IStGH, Karim Khan, gemacht. Gleiches erfolgte am 19. Januar 2024 durch Mexiko und Chile. Anfang November 2023 und Mitte Februar 2024 brachten schließlich Angehörige der am 7. Oktober 2023 verschleppten israelischen Geiseln eine Anzeige gegen die Hamas wegen Kriegsverbrechen und Völkermord beim ICC ein. 

Kriegsverbrechen, Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (umfassender, systematischer Angriff gegen Zivilisten) und Verbrechen der Aggression (Vorbereitung und Führung eines Angriffskriegs) sind laut Römischen Statut von 1998 und nach dem Muster des Londoner Statuts von 1945, das die Grundlage für die Nürnberger Prozesse bildete, die Straftaten, für die der seit 2002 tätige ICC zuständig ist. Dabei obliegt ihm die Strafverfolgung und Verurteilung von Individuen, sofern diese nicht von nationalen Gerichten angemessen bestraft werden; er handelt also wie erwähnt nur komplementär zur Rechtsprechung der Staaten. Außerdem erstreckt sich seine Zuständigkeit nur auf Straftäter und -täterinnen, welche Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats des Römischen Statuts sind, ihre Verbrechen auf dem Territorium eines Mitgliedsstaates begangen haben, oder deren Fall bzw. die zugrundeliegende Situation dem ICC vom UN-Sicherheitsrat überwiesen wurde. Ein Nichtmitgliedsstaat kann sich, den Gepflogenheiten völkerrechtlicher Gerichtsbarkeit entsprechend, auch im Einzelfall der Zuständigkeit des Strafgerichtshofs für Verbrechen unterwerfen, die auf seinem Territorium stattgefunden haben oder von seinen Staatsangehörigen begangen worden sind. Israel ist kein Mitglied des Römischen Statuts und hat sich diesem auch nicht für Einzelfälle unterworfen; Palästina ist wie erwähnt seit 2015 Vertragspartei des Statuts. Daher ist es möglich, dass Hamas-Angehörige (als palästinensische Bürger) für ihre Terrorakte vom 7. Oktober 2023 auf israelischem Territorium und Israelis für Verbrechen im Gaza-Streifen und im Westjordanland vor dem IStGH zur Rechenschaft gezogen werden.

Dass letzteres der Fall ist, ist keineswegs selbstverständlich, sind die Mitglieder des IStGH als internationaler Organisation doch grundsätzlich nur Staaten als Völkerrechtssubjekte. Entsprechend muss der ICC zunächst klären, ob Palästina überhaupt ein Territorium ist, für welches er zuständig ist. Dies wurde 2021 von der Vorverfahrenskammer (Pre-Trial Chamber) des ICC auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft bejaht. Vorausgegangen waren umfangreiche Anhörungen von Befürwortern und Gegnern einer diesbezüglichen Zuständigkeit des Gerichts. Während erstere neben den Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde und der IGOs eine Reihe von Rechtsexperten und humanitären, juristischen und propalästinensischen NGOs umfassten, wurde die ablehnende Haltung Israels (das als Staat selbst nicht in Den Haag vertreten war) von sachverständigen Unterstützern (amici curiae) vertreten, zu denen ebenfalls Einzelpersonen aus der Rechtswissenschaft, jüdische und proisraelische (v.a. westeuropäische, britische und US-amerikanische) NGOs sowie Vertreter der ICC-Mitgliedsstaaten Tschechische Republik, Österreich, Australien, Ungarn, Deutschland, Brasilien und Uganda gehörten.  

In ihrer Entscheidung vom 5. Februar 2021 führt die Kammer aus, dass Palästina am 2. Januar 2015 die seinen Beitritt zum Rom-Statut beim Generalsekretär der Vereinten Nationen angezeigt hat. Nachdem es nicht die Aufgabe des ICC sei, die Aufnahmeprozedur zu überprüfen und weder der UN-Generalsekretär noch Mitgliedsstaaten Einwendungen erhoben, ist der Beitritt Palästinas zum Römischen Statut mit dem Status einer „staatlichen Partei“ gemäß den Vertragsbestimmungen nicht zu beanstanden. Schließlich hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen Palästina in ihrer Resolution 67/19 vom 4. Dezember 2012 den Status eines Nichtmitglieds-Beobachter-Staates („non-member observer State status“) verliehen, der es – analog zum Heiligen Stuhl – einem staatlichen Völkerrechtssubjekt in den Vereinten Nationen gleichstellt: „(...) it clearly appears that the Chamber may not review the outcome of the accession procedure. Moreover, the Chamber is neither endowed with the authority to challenge the validity of Resolution 67/19 that admitted Palestine as a non-member observer State and granted its eligibility to accede to the Statute“ (Decision vom 5.2.2021, S. 43). 

Die Kammer schlussfolgert, dass Palästina damit ein Mitgliedsstaat des Römischen Statuts und der ICC damit für Verbrechen auf dem Territorium Palästinas zuständig ist. Dabei wird zugleich unterstrichen, dass dies nicht gleichbedeutend ist mit einer – im vorliegenden Kontext nicht notwendigen – „determination as to whether that entitiy fulfills the prerequisites of statehood under general international law“ (Decision vom 5.2.2021, S. 40). Das Gericht legt also Wert darauf, dass mit dem Beschluss über die Zuständigkeit des ICC keine Feststellung verbunden ist, dass Palästina tatsächlich ein Staat im Sinne des Völkerrechts ist. 

Entsprechend verwirft sie auch das Argument der Gegenseite, dass Palästina kein Staat sei und damit keine Zuständigkeit des ICC vorliege, die sich ja laut Statut nur über Staaten erstrecke. Geradezu eine Ohrfeige ist dabei die Zurückweisung des entsprechenden Einwandes der einzelstaatlichen amici curiae: “The Chamber notes that, in the context of the present proceedings, seven States Parties submitted observations on the Prosecutor’s Request as amici curiae thereby arguing that Palestine cannot be considered a State for the purposes of article 12(2)(a) of the Statute, namely the Czech Republic, Austria, Australia, Hungary, Germany, Brazil and Uganda. However, it should be noted that these States remained silent during the accession process and that none of them challenged Palestine’s accession before the Assembly of State Parties at that time or later. It is also noteworthy that a significant number of States Parties to the Statute are also States Parties to the League of Arab States and the Organization of Islamic Cooperation, which intervened in support of Palestine’s full participation as a State Party and further argued that for the sole purpose of the determination of the scope of the Court’s territorial jurisdiction, Palestine has legally transferred its criminal jurisdiction to the Court, allowing it to exercise its territorial jurisdiction on the Occupied Palestinian Territory as a whole (i.e. the West bank, including East Jerusalem, and the Gaza strip). (…) Consequently, regardless of Palestine’s status under general international law, its accession to the Statute followed the correct and ordinary procedure, as provided under article 125(3) of the Statute. (…) By becoming a State Party, Palestine has agreed to subject itself to the terms of the Statute and, as such, all the provisions therein shall be applied to it in the same manner than to any other State Party. Based on the principle of the effectiveness, it would indeed be contradictory to allow an entity to accede to the Statute and become a State Party, but to limit the Statute’s inherent effects over it“ (Decision vom 5.2.2021, S. 45f.). 

Was schließlich die konkrete territoriale Zuständigkeit des IStGH im Falle Palästinas angeht, so verweist die Kammer zum einen darauf, dass „‘[t]he territoriality of criminal law [...] is not an absolute principle of international law and by no means coincides with territorial sovereignty’. Therefore, any territorial determination by the Chamber for the purpose of defining its territorial jurisdiction for criminal purposes has no bearing on the scope of Palestine’s territory” (Decision vom 5.2.2021, S. 30); außerdem: “the Chamber wishes to reiterate that disputed borders have never prevented a State from becoming a State Party to the Statute and, as such, cannot prevent the Court from exercising its jurisdiction” (Decision vom 5.2.2021, S. 51). Für die in diesem Sinne provisorische und für die Strafverfolgung notwendige, pragmatische Festlegung des relevanten Gebietes des Mitgliedsstaates Palästina beruft sich das Gericht wieder auf die Resolution 67/19 der Generalversammlung: Diese bestätigte „‘the right of the Palestinian people to self-determination and to independence in their State of Palestine on the Palestinian territory occupied since 1967’. (...) On this basis, the Chamber finds that the Court’s territorial jurisdiction in the Situation in Palestine extends to the territories occupied by Israel since 1967, namely Gaza and the West Bank, including East Jerusalem“ (ebd.). 

Auch das Argument der eingeschränkten Kompetenzen der Palästinensischen Autonomiebehörde nach den Bestimmungen der Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 und damit die grundsätzlich mangelnde Gleichberechtigung Palästinas gegenüber souveränen Staaten lässt das Gericht nicht gelten: “The Chamber notes that this agreement contains a number of clauses limiting the scope of the jurisdiction of the ‘Palestinian Interim Self-Government Authority’. Most noticeably, article XVII(2)(c) of this agreement stipulates inter alia that ‘[t]he territorial and functional jurisdiction of the [Palestinian Interim Self-Government Authority] will apply to all persons, except for Israelis, unless otherwise provided in this Agreement’. Article I(1)(a) of Annex IV to this agreement, the ‘Protocol Concerning Legal Affairs’, further provides that ‘[t]he criminal jurisdiction of the [Palestinian Interim Self-Government Authority] covers all offenses committed by Palestinians and/or non-Israelis in the Territory, subject to the provisions of this article. (…) two lines of argument may be drawn from the observations submitted to the Chamber regarding the Oslo Agreements. On the one hand, certain victims and amici curiae, relying on the nemo dat quod non habet rule, have argued that, in accordance with the Oslo Agreements, Palestine could not have delegated part of its jurisdiction to the Court. On the other hand, the Prosecutor, Palestine, certain victims, and certain amici curiae have argued that the Oslo Agreements did not affect the jurisdiction of the Court, although, in the view of some, they could affect matters of cooperation with the Court. (…) the Chamber finds that the arguments regarding the Oslo Agreements in the context of the present proceedings are not pertinent to the resolution of the issue under consideration, namely the scope of the Court’s territorial jurisdiction in Palestine” (Decision vom 5.2.2021, S. 56-58).

Abschließend unterstreicht die Kammer nochmals die begrenzte Reichweite der getroffenen Entscheidung: „As a final matter, the Chamber finds it appropriate to underline that its conclusions in this decision are limited to defining the territorial parameters of the Prosecutor’s investigation in accordance with the Statute. The Court’s ruling is, as noted above, without prejudice to any matters of international law arising from the events in the Situation in Palestine that do not fall within the Court’s jurisdiction. In particular, by ruling on the territorial scope of its jurisdiction, the Court is neither adjudicating a border dispute under international law nor prejudging the question of any future borders. (…)  It is further opportune to emphasise that the Chamber’s conclusions pertain to the current stage of the proceedings, namely the initiation of an investigation by the Prosecutor pursuant to articles 13(a), 14 and 53(1) of the Statute. When the Prosecutor submits an application for the issuance of a warrant of arrest or summons to appear under article 58 of the Statute, or if a State or a suspect submits a challenge under article 19(2) of the Statute, the Chamber will be in a position to examine further questions of jurisdiction which may arise at that point in time“ (Decision vom 5.2.2021, S. 58f.).

Diese Entscheidung des ICC, die im Übrigen bis auf den Punkt der grundsätzlichen Mitgliedschaft Palästinas als staatliche Partei im Römischen Statut mit einer Mehrehit von 2 zu 1 in der dreiköpfigen Pre-Trial Chamber zustande gekommen ist, ist nun in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert: 

Erstens hat sie natürlich der Staatsanwaltschaft des ICC die Möglichkeit zur Strafverfolgung und Anklage etwaiger Kriegsverbrecher geebnet; ob und wer schließlich in Den Haag angeklagt wird, bleibt abzuwarten. Zumindest scheint es jedoch so zu sein, dass der Chefankläger des Strafgerichtshofs gerade im Fall Gaza sehr bestrebt sein wird, tatsächlich effektiv zu ermitteln, auch und vielleicht insbesondere gegen Israelis, auch wenn einschränkend wiederum der Komplementaritätsaspekt des ICC nicht vergessen werden darf. In den letzten Tagen gibt es immerhin Hinweise darauf, dass auch die israelische Militärführung und Militärjustiz dem Problem von Kriegsverbrechen durch die IDF wachsende Aufmerksamkeit widmen, und sei es nur aufgrund der Auflagen durch den IGH vom Januar.  

Zweitens ist bemerkenswert, dass der ICC, obwohl er sich nicht zur Staatlichkeit und zu den Grenzen Palästinas äußern will, doch zumindest gezwungen ist, wenigstens teilweise Position zu beziehen, was den Status Palästinas angeht: So folgt er zum einen doch der UN-Generalversammlung, deren Mehrzahl an Mitgliedern Palästina tatsächlich als Staat anerkennt; dies impliziert zum anderen, dass er Ostjerusalem nicht als israelisches Gebiet akzeptiert (wie dies Israel nach der – allgemein als völkerrechtswidrig betrachteten – Annexion von 1980 tut). 

Drittens wird interessant sein zu sehen, wie der Gerichtshof mit der Frage einer palästinensischen Staatsangehörigkeit umgeht, sobald es um die Frage einer Anklage von Hamas-Mitgliedern gehen wird. Denn die Staatsangehörigkeit ist üblicherweise tatsächlich an die souveräne Staatlichkeit geknüpft und würde potenziell bedeuten, dass man Palästina doch den Status eines „echten“ Staates zuschreiben müsste. Der Exkurs der Kammer zu den Oslo-Abkommen in ihrem Beschluss vom 5. Februar 2021 ist möglicherweise ein Hinweis auf die Art und Weise, wie der ICC dieses Problem umgehen wird, sobald es auftritt: Der dortige Hinweis auf die „Palästinenser“ als der Autorität der Autonomiebehörde unterstehende Bürger (s.o.), ohne dass etwa Israel Palästina als Staat anerkennt, könnte die Option eröffnen, die Registrierung von Palästinensern als palästinensische Staatsangehörige durch die Behörden der Autonomiegebiete als Indikator für den Status eines Individuums bezüglich der Zugehörigkeit zum Mitgliedsstaat Palästina des Römischen Statuts heranzuziehen und gleichzeitig, ganz analog zur Argumentation bezüglich dieser Mitgliedschaft, zu betonen, dass mit dieser pragmatischen Vorgehensweise keine allgemeine Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas verbunden ist. So könnte der ICC faktisch den gleichen Weg wählen, den die 50 Staaten gehen, welche Palästina bislang nicht als Staat anerkannt haben, darunter auch Deutschland: Auch diese Staaten akzeptieren etwa palästinensische Pässe zur Identitätsfeststellung zu Reisezwecken, ohne den Staat Palästina anzuerkennen; dort gelten Palästinenser ohne andere Staatsbürgerschaft damit praktisch weiterhin als staatenlos. Erschwert wird die Lage auch für die Strafverfolgung durch den ICC jedoch noch zusätzlich dadurch, dass anscheinend aufgrund entsprechender gesetzlicher Regelungen durch die Autonomiebehörde viele ethnische Palästinenser, die außerhalb der Autonomiegebiete oder Israels leben, keinen palästinensischen Pass erwerben können. Wie also straffällige Hamas-Angehörige, die aus Nachbarländern in den Gaza-Streifen gekommen sind, keine palästinensische Staatsangehörigkeit oder diejenige eines anderen Mitgliedstaates des Römischen Statuts haben - außer Jordanien und Tunesien hat kein anderes arabisches Land das Statut ratifiziert! - und am 7. Oktober auf israelischem Territorium Kriegsverbrechen begangen haben, identifiziert und juristisch behandelt werden sollen, wird noch zu klären sein.  

Viertens ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass mit dem Beschluss vom Februar 2021 und den Ermittlungen durch den Chefankläger des ICC das organisatorische Grundproblem des Strafgerichtshofs weiterhin ungelöst bleibt: die faktische Notwendigkeit der Kooperationsbereitschaft nationaler Behörden, nachdem es dem ICC an einem administrativen Unterbau und Durchgriffsmöglichkeiten vor Ort fehlt. Dass die Hamas, die Palästinensische Autonomiebehörde (auch wegen ihrer bislang fehlenden Autorität in Gaza-Streifen, aber auch Israel potenzielle Kriegsverbrecher der eigenen Seite auszuliefern bereit sein wird, ist wohl sehr unwahrscheinlich.  

    

Literatur/Links

International Criminal Court (2020): Prosecution request pursuant to article 19(39 for a ruling on the Court’s territorial jurisdiction in Palestine, 22 January 2020, https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/CourtRecords/CR2020_00161.PDF

International Criminal Court (2021): Decision on the “Prosecution request pursuant to article 19(39 for a ruling on the Court’s territorial jurisdiction in Palestine”, 5 February 2021, https://www.icc-cpi.int/sites/default/files/CourtRecords/CR2021_01165.PDF .