Noch einmal: Parallelen zwischen Erstem Weltkrieg und dem Ukraine-Krieg

Insbesondere in den Medien wird bekanntlich immer wieder an die vermeintlichen Ähnlichkeiten des Kriegsbildes des Ersten Weltkriegs 1914 bis 1918 und des gegenwärtigen Krieges Russlands gegen die Ukraine. Wie in vergangenen Konflikten des letzten Jahrzehnten wird vor allem die Wahrnehmung ausgebauter Stellungssysteme (Schützengräben) und des sich kaum verändernden Frontverlaufs ins (journalistische oder Blogger-) Feld geführt, um im Zweifel die Erinnerung an „Verdun 1916“ oder „Flandern 1917“ ins Gedächtnis zu rufen, so etwa während des Bosnien-Krieges der 1990er Jahre oder bereits zuvor Im Ersten Golfkrieg (1980-1988). 

Dass trotz der populären Übertreibungen und Vereinfachungen sowie der grundsätzlich anderen Größenordnung des Weltkonfliktes von 1914 bis 1918 (inklusive der Verluste der Kriegsparteien) die Parallelen des gegenwärtigen Krieges zum „Großen Krieg“ nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, zeigt ein interessantes Interview mit OTL Tom Simoens von der Königlich-Belgischen Militärakademie. Auch wenn er darauf hinweist, dass sich die verfügbaren Technologien und Waffensysteme seit 1914/18 natürlich grundsärtzlich verändert, v.a. erweitert haben, und auch andere Konflikte, wie der Zweite Weltkrieg, der Afghanistan-Krieg oder eben der Erste Golfkrieg ähnliche Phänomene aufwiesen, gibt es doch schlagende Ähnlichkeiten zum Kriegsbild von vor mehr als 100 Jahren. Dazu gehören die Statik der Front nach anfänglichen Versuchen mobiler Kriegführung und der daraus resultierenden Erschöpfung, die statische Front mit zwei sich eingrabenden Armeen, die zentrale Rolle der Artillerie, die Konzentration auf Möglichkeiten eines taktisch-operativen Durchbruchs durch die feindlichen Stellungssysteme sowie den allgemeinen Aspekt der Abnutzung. 

Was daraus folgt, ist dreierlei: Erstens lässt sich festhalten, dass ungeachtet des massiven technischen Fortschritts grundsätzliche Formen der Kriegführung immer wieder zu beobachten sind und nichts von ihrer Bedeutung verloren haben. Damit gilt das Gleiche aber auch für die Befassung mit Strategie- und Militärgeschichte zum Verständnis auch gegenwärtiger Gewaltkonflikte. Zweitens lässt das Exempel von 1914 bis 1918 befürchten, dass sich, ein entsprechender Kampfeswillen der beiden Seiten vorausgesetzt, der Ukraine-Krieg noch deutlich länger hinziehen könnte als erhofft, v.a. angesichts der teilweise vielleicht unrealistisch hohen Erwartungen an die wohl bevorstehende ukrainische Frühlings-/ Sommeroffensive. Drittens wird insbesondere angesichts der beherrschenden Rolle der Artillerie und der durch entsprechende Abwehrsysteme reduzierten Funktion von Luftwaffe und Panzerwaffe klar, dass die Ukraine im Abnutzungskrieg mehr denn je auf eine dauerhafte, massive Materialhilfe aus dem Westen angewiesen ist, und für etwaige zukünftige kriegerische Auseinandersetzung auch die NATO ihr (luftwaffenlastiges) Kriegsbild und ihre (stark begrenzte) militärindustrielle Infrastruktur dringend überdenken muss.