Pakistan vor dem Kollaps - von der Wirtschaft- zur Sicherheitskrise?

In den letzten Monaten und Wochen ist die ökonomische und innenpolitische Lage in Pakistan immer prekärer geworden. Fast unbemerkt von der vor allem auf den Ukraine-Krieg fixierten Öffentlichkeit hierzulande hat sich die Wirtschaftskrise in dem mittlerweile so verschärft, dass einige Beobachter schon einen Kollaps des mit 230 Millionen Einwohnern zweitgrößten muslimischen Landes und der mit geschätzt 165 Sprengköpfen fünftgrößten Nuklearmacht der Welt befürchten – mit unkalkulierbaren Folgen für die regionale Sicherheit und das internationale Nonproliferationsregime. 

Der Hintergrund der pakistanischen Wirtschaftskrise lässt sich folgendermaßen skizzieren: Obwohl das Land in den letzten Jahrzehnten ein kräftiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatte, krankt es vor allem an der Kombination von zwei strukturellen Problemen: einer ausgeprägten Importabhängigkeit bei Energie und Nahrungsmitteln sowie einer massiven Auslandsverschuldung. Das Zusammenspiel mehrerer Aspekte hat nun dazu geführt, dass das Land von einer massiven Inflation von gegenwärtig rund 36 Prozent geplagt wird, wobei Preissteigerungen von aktuell über 48 Prozent dazu geführt haben, dass geschätzt 35 Millionen Pakistani von Mangelernährung und Hunger betroffen sind: (1) der massive Rückgang der Rücküberweisungen pakistanischer Gastarbeiter etwa in der Golfregion während der Restriktionen und Jobverluste während der Covid-19-Pandemie; (2) die massiven Überflutungen von 2022, die zu massiven Ernteausfällen und volkswirtschaftlichen Schäden von 40 Mrd. USD geführt haben; (3) die in Folge des Ukraine-Krieges steigenden Preise für Nahrungsmittel und Energie; sowie (4) die kontraproduktiven Effekte der Versuche der Regierung, den Mangel an Fremdwährung zur Begleichung von Importen durch restriktive Maßnahmen wie Preis- und Importkontrollen zu reduzieren, was u.a. zu Blackouts führte, welche zusammen mit den steigenden Energiekosten dazu führte, dass Millionen Arbeitskräfte von Textilfabriken entlassen wurden und ihre Familien nun erst recht nicht mehr ernähren können. Wenig förderlich dürfte auch die weitverbreitete Korruption im Land sein – im Korruptionswahrnehmungsindex CPI belegt Pakistan Platz 140 von 180. 

In der Folge hat Pakistan eine innenpolitische Radikalisierung und eine deutliche Zunahme terroristischer Anschläge erfahren. Zu einer weiteren Schwächung der Zentralregierung haben in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzungen zwischen dem letztes Jahr abgesetzten populistischen Premierminister Imran Khan und der neuen, vom Militär gestützten Regierung und ihren jeweiligen Anhängern beigetragen. 

In der Folge nimmt die Sorge zu, Pakistan könnte quasi zu einem „failed state“ werden, zumal die pakistanische Krise gleich in mehrerer Hinsicht regionale und überregionale Konsequenzen und Eskalationspotenziale aufweist (): (1) die Gefahr von Grenz- und Separationskonflikten mit dem von den Taliban beherrschten Afghanistan um die mehrheitlich von Paschtunen bewohnten Regionen Westpakistans (obwohl das pakistanische Militär die Taliban durchaus unterstützt hat) oder im südwestlichen Belutschistan; (2) eine Eskalation des Konflikts mit Indien um Kaschmir, sei es, weil Indien die Schwäche Pakistans dort ausnutzen will, sei es, weil islamistische und nationalistische Extremisten vermehrt Anschläge auf indische Einrichtungen verüben, weil sie nicht mehr unter Kontrolle der pakistanischen Führung stehen – dabei könnten auch Teile des bekanntlich ein deutliches Eigenleben führenden pakistanischen Geheimdienstes eine Rolle spielen; (3) eine militärische Flucht der pakistanischen Regierung nach vorn durch die Provokation eines neuen Krieges mit Indien, entweder vor oder nach einem etwaigen Militärputsch; oder (4) der Verlust der Kontrolle über die pakistanischen Nuklearwaffen oder gar deren Weitergabe auf dem Schwarzmarkt an interessierte staatliche oder nichtstaatliche (terroristische) Akteure. 

Schließlich könnte auch eine indirekte Verschärfung der geopolitischen Spannungen zwischen China und Indien die Folge sein, und zwar dann, wenn die Volksrepublik zur Rettung ihrer Investitionen in Pakistan im Rahmen der Belt and Road-Initiative neue Kredite an die pakistanische Regierung vergibt, dies aber gleichzeitig dazu nutzt, ihren strategischen Zugriff auf die Infrastruktur und die Ressourcen Pakistans zu verstärken – aus der Sicht der indischen Führung eine Intensivierung der chinesischen Bemühungen um eine strategische Einkreisung Indiens, die es abzuwenden gilt. Entsprechend betrachtet gerade der große Nachbar und „Erbfeind“ Indiens die pakistanischen Probleme zwar mit einer gewissen Genugtuung, aber ebenso mit einer deutlichen Beunruhigung