Trumps Hilfe für Milei

Seit rund zwei Jahren bemüht sich Präsident Javier Milei mittels einer Rosskur die jahrzehntealten strukturellen Probleme der argentinischen Wirtschaft zu lösen, die aus einem der noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohlhabendsten Länder der Welt einen überschuldeten Dauerkandidaten für einen Staatsbankrott und armutsbedrohte prekäre Beschäftigungsverhältnisse in einer „20/80“-Ökonomie gemacht haben. Mindestens seit den 1960er Jahren zeichnete sich die argentinische Wirtschaft nicht zuletzt aufgrund einer populistischen und nepotistischen Ausgabenpolitik praktisch aller Regierungen durch hohe Abhängigkeit von volatilen Weltmarktpreisen für landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe, extreme Staats- und Auslandsverschuldung, Inflation, Abwertungsdruck des Peso, Schutzzölle sowie Preis- und Kapitalkontrollen aus. Der im November 2023 gewählte libertäre Präsident versucht, diese tief verwurzelte Problemlage durch radikale liberale Reformen zu überwinden, die von internationalen Investoren gar als „Blaupause für andere Länder wie Deutschland“ gepriesen worden sind.

Zu den ergriffenen Maßnahmen gehören insbesondere eine radikale Verringerung der Staatsausgaben, etwa durch die Halbierung der Zahl der Ministerien und die Freisetzung von rund einem Drittel der Bediensteten des Zentralstaats (über 40.000 Stellen) sowie die Schaffung eines ausgeglichenen Haushalts, was zu einem rapiden Rückgang der Inflation führte – im Frühjahr 2024 erreichte der Verbraucherpreisindex mit fast 300 Prozent sein Maximum und sank bis Anfang 2025 auf rund 120 Prozent. Nach einem Maximum von etwa 27 Prozent (2021) sank die Staatsquote 2024 auf unter 17 Prozent, der Schuldenstand von etwa 160 Prozent des BIP (2023) auf rund 100 Prozent.

Andere Maßnahmen betrafen die Deregulierung der Märkte, z.B. durch die Aufhebung von Preiskontrollen auf Grundnahrungsmittel und Mieten – was zu deutlichen Preiserhöhungen und zugleich einem höheren Angebot an Wohnungen führte. Staatseigene Unternehmen, etwa die Fluglinie Aerolineas Argentinas und der Energiekonzern Enarsa, wurden privatisiert, der Zugang konkurrierender Airlines zum Luftverkehrsmarkt erleichtert. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes erfolgte u.a. durch eine Erhöhung der Probezeitregelungen auf sechs Monate, die Möglichkeit Selbstständiger bis zu drei Mitarbeiter ohne formalen Angestelltenstatus (mit entsprechenden Sozialleistungen) zu beschäftigen oder die Einschränkung legaler Möglichkeiten zu Arbeitnehmerprotesten (zur Schwächung der Gewerkschaften). Beschränkungen für die Vergabe von Dollarkrediten durch Geschäftsbanken wurden abgeschafft, Importzölle gesenkt, bürokratische Importvorschriften gelockert sowie Import- und Exportrestriktionen (z.B. für Stahl bzw. Rindfleisch) aufgehoben.

Ebenso wurden sukzessive die meisten Kapitalkontrollen aufgehoben, und der Peso gegenüber dem US-Dollar soweit abgewertet, dass sich der offizielle Umtauschkurs demjenigen des Schwarzmarktes annäherte; ein beschränktes Floaten des Peso gegenüber dem Dollar und eine allmähliche weitere Abwertung des ersteren wurde zugelassen. Gleichzeitig wurde ein umfangreiches Anreizpaket mit Steuervorteilen, Zoll- und Regulierungsausnahmen u.a. beschlossen, um in- und ausländische Großinvestitionen von mindestens 200 Mio. USD anzukurbeln, vor allem in den Bereichen Industrie, Tourismus, Bergbau, Energie und Fortwirtschaft. 

Die Folgen dieser liberalen Schockreformen für die argentinische Gesellschaft sind umstritten. Auf der einen Seite stehen vor allem die Senkung der Inflation - die offizielle Inflationsrate hatte 2023 noch 211 Prozent betragen, Mitte 2025 waren es noch ca. 44 Prozent - und damit die Initiierung von realem Wirtschaftswachstum, die Reduzierung der Staatsverschuldung sowie die Schaffung neuer Investitions- und Handelsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite stieg die Armutsrate rapide von ca. 42 auf etwa 53 Prozent der Bevölkerung, bevor sie bis in der zweiten Hälfte 2024 auf etwa 38 Prozent und bis zum Frühjahr 2025 offiziell auf etwa das Vor-Corona-Niveau von rund 36 Prozent fiel. Konservativ-neoliberale Befürworter von Mileis Kurs weisen außerdem darauf hin, dass seit seinem Amtsantritt 1,7 Millionen Kinder aus der Armut befreit worden seien. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die offiziellen Zahlen möglicherweise manipuliert werden und die tatsächliche Armutsquote bei bis zu 62 Prozent liege. 

Zugleich gehen die Ausgabenkürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten, während nachhaltige, beschäftigungswirksame Investitionen aufgrund hoher Zinsen und kurzfristiger Portfolioinvestitionen weitgehend unterbleiben. Zudem befindet sich Argentinien weiterhin in einer Rezession, und die Arbeitslosenquote ist gestiegen (offiziell auf 8 Prozent Ende 2024). Tatsächlich dürfte das Arbeitsmarktproblem aber viel gravierender sein, nachdem geschätzt 45 Prozent der Beschäftigten in Argentinien im informellen Sektor arbeiten und entsprechend keine soziale Absicherung haben. Zudem besteht der Abwertungsdruck auf den überbewerteten Peso weiter; eine Stabilisierung der Handels- und Investitionsbeziehungen mit dem Ausland und die Reduzierung des Inflationsdrucks auf der Basis eines verlässlichen und möglichst konstanten Wechselkurses der heimischen Währung bleibt entsprechend bislang aus. Die Bemühungen der Regierung und der Zentralbank, den Peso-Dollar-Kurs im Rahmen der definierten Schwankungsbreite gegenüber dem Dollar zu stützen, scheinen vergeblich zu sein, zumal die Währungsreserven Argentiniens durch eine zunehmende Flucht argentinischer Vermögenswerte in ausländische Dollaranlagen und den Schuldendienst für IWF-Kredite weiter reduziert werden.

Javier Mileis Weltbild ist dabei nicht nur von einer anarcho-kapitalistischen sowie staats- und elitenfeindlichen Ideologie geprägt, wie sie von (häufig auch klimaskeptischen und großkonzernnahen) neoliberalen Netzwerken wie dem Atlas Network vertreten werden, deren Ideen offenkundig auch Pate für die jüngsten argentinischen Reformen standen. Es zeichnet sich auch durch einen quasi-missionarischen Eifer gegen „Wokeism“, „kulturellen Marxismus“ und Feminismus aus. Diese kulturkämpferischen und autoritären (und teilweise die Militärdiktaturen der Vergangenheit legitimierenden) Aspekte verbinden ihn mit der Weltanschauung Jair Bolsonaros und der MAGA-Bewegung Donald Trumps. Außerdem führen sie offenbar dazu, dass es der libertäre Vorkämpfer mit der Korruptionsbekämpfung anscheinend nicht zu ernst nimmt, wenn sie politische Verbündete oder gar Familienmitglieder wie seine Schwester betrifft.

Dies mag zusammen mit den Verteilungseffekten der Reformpolitik ein Grund dafür sein, dass Mileis Popularität trotz der insgesamt durchaus positiv erscheinenden, aber wohl kaum nachhaltigen makroökonomischen Daten deutlich im Schwinden begriffen ist. Tatsächlich hat die Austeritätspolitik zusammen mit dem Scheitern der Investitionshoffnungen in Argentinien dazu geführt, dass Mileis Partei im September in einer Regionalwahl in der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires eine heftige Schlappe gegen die peronistische Opposition erlitten. Für die Ende Oktober 2025 stattfindenden Parlamentswahlen, bei der die Hälfte der Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel der Sitze im Senat neu besetzt werden, und bei denen Milei auf eine bislang nicht vorhandene eigene Mehrheit hofft, wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen oder gar eine weitere Niederlage von Mileis Partei „La Libertad Avanza“ gegen die peronistische „Fuerza Patria“ erwartet. Damit erscheint das scheinbar so hoffnungsvoll begonnene Reformprogramm Mileis sowohl wirtschaftlich als auch politisch kurz vor dem Scheitern zu stehen.

In dieser Situation erfährt der argentinische Präsident nun Unterstützung von Seiten seines Freundes im Geiste in Washington D.C. So hat die US-Regierung letzte Woche offenbar in großem Stil über die Santander-Bank argentinische Pesos aufgekauft, um den Kurs der noch immer überbewerteten Währung zu stützen. Gleichzeitig hat das US-Finanzministerium ein Währungs-Swap-Abkommen mit der argentinischen Seite ausgehandelt, das es der argentinischen Zentralbank gestatten wird, Pesos in einer Höhe von bis zu 20 Mrd. USD in US-Dollar umzutauschen, etwa um damit weiter den Peso-Kurs mittels Marktinterventionen stützen oder IWF-Kredite zurückzahlen zu können.

Damit könnte die Trump-Administration dem angeschlagenen Präsidenten eine Atempause verschaffen, die es ihm gestattet, wenigstens die Parlamentswahlen erfolgreich zu überstehen. Zugleich unterstreicht das US-Engagement, dass Washington in Milei einen wichtigen Verbündeten sieht, der unbedingt gestützt werden muss. Dass sich das Argentinien Mileis deutlich im Fahrwasser Trumps bewegt, wird nicht nur in der Wirtschaftspolitik und im innenpolitischen Kulturkampf deutlich, sondern auch in der Außenpolitik. So hat Argentinien einen angebotenen Beitritt zu den als antiwestlich und antiamerikanisch wahrgenommenen BRICS abgelehnt und ist analog zu den USA aus der WHO ausgetreten. Zudem bestehen diplomatische Spannungen mit dem neuen Lieblingsfeind Trumps in Lateinamerika, Venezuela unter Präsident Maduro, etwa um geflüchtete venezolanische Oppositionelle in der argentinischen Botschaft in Caracas und die Beschlagnahmung eines venezolanischen Flugzeugs aufgrund angeblicher Verbindungen zum Iran in Argentinien. Anscheinend versucht die US-Regierung auch, von Argentinien, Ecuador und El Salvador eine militärische Unterstützung für die Mission der U.S. Navy gegen venezolanische Drogenschmuggler und „Terroristen“ in der Karibik zu gewinnen. Die finanzpolitische Unterstützung durch die USA dürfte Argentinien noch stärker auf den Kurs Trumps zwingen. Ein Hinweis in diese Richtung mag die Präsenz von US-Einheiten bei einem Manöver mit der argentinischen Flotte sein, die gerade von Milei genehmigt wurde und die als (aufgrund fehlender Absegnung durch das Parlament) verfassungswidrige Gegenleistung für die US-Finanzhilfe kritisiert wird.

Allerdings ist die jüngste Involvierung der US-Finanzpolitik in Argentinien in den Vereinigten Staaten selbst alles andere als unumstritten. Neben grundsätzlichem Unverständnis in der MAGA-Bewegung dafür, sich überhaupt mit dem Geld der amerikanischen Steuerzahler so stark im Ausland zu engagieren, kommt insbesondere von Seiten der US-Landwirte und ihrer Lobby Kritik. Sie leiden einerseits ohnehin massiv unter Trumps Ausgabenreduzierung und Bürokratieabbau, Zollpolitik und der Abschaffung der Regierungskäufe für USAID, und nun kommt andererseits noch dazu, dass Argentinien und nicht der heimische Agrarsektor zusätzlich subventioniert wird. Dies erscheint den US-Agrariern umso empörender, als die Konkurrenz aus Argentinien, das auch noch die Exportsteuer für Sojabohnen ausgesetzt hat, deutlich von der Umorientierung der chinesischen Importe Richtung Lateinamerika profitiert. Andere Kritiker gehen davon aus, dass es der US-Regierung vor allem darum geht, Investoren-Freunde Trumps vor Verlusten aus dem Argentiniengeschäft zu bewahren, also wieder einmal zur Bereicherung der Oligarchenclique um Donald Trump durch öffentliche Mittel beizutragen.

Es bleibt daher abzuwarten, wie lange die US-Administration die Unterstützung Mileis aufrechterhalten kann und ob diese überhaupt in der Lage ist, den drohenden Absturz der argentinischen Wirtschaft und damit das Ende des „anarchokapitalistischen“ Kurses lange aufzuhalten. Denn trotz aller neoliberalen theoretischen Fundierung scheint die entsprechende, allzu radikale Reformpolitik wieder an der Komplexität der politischen und sozioökonomischen Realitäten des Landes zu scheitern. Gerade im argentinischen Fall ist dies im Übrigen keineswegs neu, sondern erinnert deutlich an die Erfahrungen etwa der 1990er Jahre.

  

Literatur/Links

Glaeser, Edward L./Di Tella, Rafael/Llach, Lucas (2018): Introduction to Argentine exceptionalism. Latin American Economic Review 27: 1; https://www.hbs.edu/ris/Publication%20Files/LAER%20Introduction%20to%20Argentine%20Exceptionalism_3c49e7ee-4f31-49a0-ba21-6e2b726cd7c5.pdf .

Kleinheyer, Marius/Schnabl, Gunther (2025): Argentina under the Reforms of Javier Milei: Taking Stock. Flossbach von Storch Research Institute, Society & Finance 25/06/2025; https://www.flossbachvonstorch-researchinstitute.com/fileadmin/user_upload/files/RI/Studien/Files/englisch/2025/250625-argentina-under-the-reforms-of-javier-milei-taking-stock.pdf .

Li, Chengchen/Zhu, Yimin (2025): Research on the Atlas Network and Argentina’s Economic Policy: The Logic Behind Milei Government’s Reform Bill. Journal of International Economy and Global Governance 2 (2): 4-21; https://www.mospbs.com/uploads/files/2025/03/20250304/a2f4fa253d98b23ed734fd68ad5dbc82.pdf

Rotte, Ralph (2015): Die gescheiterte Umverteilungspolitik in Lateinamerika. Politische Studien 464: 65-70; https://www.hss.de/download/publications/PS_464_SICHERHEIT_09.pdf .

Zilla, Claudia (2024): Javier Milei‘s Ideology and Policy. SWP Comment No. 37 (September 2024); https://www.swp-berlin.org/publications/products/comments/2024C37_Milei_Argentina.pdf .