Iran gegen Israel: Wer verteidigt sich eigentlich gegen wen?

Aus der Sicht der iranischen Regierung war der Drohnen-, Marschflugkörper- und Raketenangriff auf Israel in der Nacht vom 13. auf den 14. April eine Antwort auf die Israel zugeschriebene gezielte Tötung hochrangiger Offiziere der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) im iranischen Konsulatskomplex in Damaskus am 1. April. Der Gegenschlag war damit aus iranischer Perspektive Teil legitimer Selbstverteidigung gegen einen israelischen bewaffneten Angriff gegen offizielles iranisches (Para-) Militärpersonal in einem Drittstaat, welches durch die Immunität einer diplomatischen Vertretung völkerrechtlich geschützt war. Abgesehen davon, dass Vergeltungsangriffe prinzipiell nicht durch das Recht zur Selbstverteidigung gemäß Art. 51 SVN gedeckt sind – Selbstverteidigung bezieht sich generell auf die Unschädlichmachung einer Bedrohung durch militärische Mittel, nicht auf demonstrative Racheakte –, und ein Angriff auf eine Botschaft nicht gleichbedeutend mit dem Angriff auf das Territorium des zugehörigen Gastlandes ist – entgegen landläufiger Meinung ist eine diplomatische Vertretung weiterhin Teil des Staatsgebietes des Gastgeberlandes, welches lediglich auf die dortige Ausübung seiner Staatsgewalt verzichtet –, stellt sich die Frage, ob der Iran damit im Einklang mit dem Selbstverteidigungsrecht steht, wie es die Satzung der Vereinten Nationen verbrieft. 

Dies setzt gemäß den Völkerrechtsgepflogenheiten zum einen voraus, dass der Angriff vom 1. April ein „bewaffneter Angriff“ war, denn nicht jede völkerrechtswidrige Gewaltanwendung ist gleichbedeutend mit einem solchen und legitimiert militärische Gegenmaßnahmen. So gelten etwa vereinzelte kleinere Grenzscharmützel oder der Beschuss eines einzelnen (zivilen) Schiffes nicht als bewaffneten Angriffe und dürfen entsprechend nicht per se mit Gewalt beantwortet werden. Anders verhält es sich, wenn Waffengewalt in größerem Maße gegen das Territorium eines Staates oder gegen seine Streitkräfte eingesetzt wird, also beispielsweise ein Kriegsschiff oder ein Militärflugzeug beschossen wird. (Von einem "nichtkinetischen" Angriff, etwa in Form einer großangelegten Cyberattacke sei hier abgesehen, nachdem dies die Sache noch weiter verkomplizieren würde.) In einem solchen Fall ist eine bewaffnete Antwort legal, um die Bedrohung zu beseitigen, allerdings auch dann nur unter Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit und der Grundsätze des humanitären Völkerrechts. Geht man davon aus, dass die gezielte Tötung von IRCG-Offizieren gleichbedeutend mit einem gewichtigen Angriff auf die Streitkräfte der Islamischen Republik Iran war, würde dieses Kriterium wohl erfüllt sein. 

Allerdings setzt das Selbstverteidigungsrecht zum anderen ferner voraus, dass der Angriff nicht seinerseits die Antwort auf einen vorausgegangenen bewaffneten Angriff war, also Israel nicht selbst auf eine iranische Attacke militärisch geantwortet hat. Denn militärische Gewaltanwendung im Rahmen legaler Selbstverteidigung gilt selbst nicht als illegale Aggression. Und hier wird es schnell schwierig, befinden sich Israel und der Iran doch bereits seit Jahrzehnten in einem unerklärten oder Stellvertreterkrieg. Aus israelischer Perspektive war der – offiziell nicht zugegebene – Angriff vom 1. April lediglich Teil eines länger andauernden Kampfes gegen den antiisraelischen Terrorismus, für den der Iran als Hauptdrahtzieher verantwortlich gemacht wird. Die IRGC-Offiziere waren damit aus israelischer Warte als Organisatoren und Planer der Aktivitäten der Mitgliedsorganisationen der „Achse des Widerstands“ gegen Israel, inklusive etwa der Hamas, der Hisbollah oder der Houthis im Jemen, ein legitimes Ziel im Kontext israelischer Selbstverteidigung.

Allerdings ergibt sich dann das Problem der Zuschreibung von Terrorakten gegen Israel an den Iran. Denn seit dem Urteil des IGH im Fall Nicaragua gegen die USA von 1986 wird das militärische Vorgehen gegen die staatlichen Unterstützer von Terrorgruppen (und anderen, staatlichen Aggressoren) nur dann als Fall legaler Selbstverteidigung betrachtet, wenn der betreffende Staat diese Gruppierungen direkt entsendet oder zumindest eindeutig befehligt. Die bloße Versorgung mit Geld, Waffen und Know-how sowie die Ausbildung von Terrorgruppen und irregulären Kämpfern reicht nicht aus, um selbst Kriegspartei und damit legales Ziel militärischer Gewalt zu werden, solange die betreffenden Gruppierungen noch selbst entscheiden, wann und wie sie ihre Anschläge ausführen. Dies ist ja nicht zuletzt die Argumentation der westlichen Staaten als „nichtkriegführende Parteien“ bei der militärischen Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression. Solange Terrorgruppen wie die Hamas und die Hisbollah zwar in hohem Maße von der Unterstützung Teherans abhängig sind, aber nicht völlig unter iranischem Befehl stehen, ist eine militärische Selbstverteidigung Israels gegen den iranischen Staat und seine Organe (wie die Revolutionsgarden) völkerrechtlich von daher nicht statthaft.

Doch die Argumentation bleibt nicht an diesem Punkt stehen. Die traditionelle Lesart des Völkerrechts gesteht den Staaten lediglich das Recht auf Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe von Staaten zu. Doch nach den Anschlägen von Al-Qaeda und dem Islamischen Staaten gegen die USA 2001 bzw. Frankreich 2015 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Selbstverteidigungsrecht auch auf Terrorangriffe größeren Ausmaßes erweitert. Seitdem ist auch ein militärisches Vorgehen gegen Terrorgruppen über quasi-polizeiliche Maßnahmen (wie bei der Bekämpfung von Piraterie oder organisierter Kriminalität) legal. Wenn also die israelische Regierung das Vorgehen gegen die IRGC-Angehörigen als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus – die Revolutionsgarden werden etwa von den USA explizit als Terrororganisation eingestuft – betrachtet, hat sie durchaus völkerrechtlich relevante Argumente an der Hand. Dazu gehören auch (international hochumstrittene) gezielte Tötungen von Individuen als Teil eines Terrornetzwerkes; zumindest hat es der Oberste Gerichtshof Israels 2006 abgelehnt, solche gezielten Tötungen als Teil legitimer Selbstverteidigung gegen den Terrorismus als rechtswidrig zu verurteilen.

Sollte das bisherige militärische Vorgehen der IDF gegen formaljuristisch als Terroristen eingestufte Akteure also völkerrechtlich vertretbar sein, wäre es wohl auch der Angriff vom 1. April gewesen. Das würde auch unabhängig von der formalen Funktion der IRGC-Offiziere und des Angriffsortes gelten, denn auch als iranische Paramilitärs wären die Männer ja (rechtlich nicht vor Angriffen geschützte) Terroristen gewesen und der Iran bzw. Syrien hätten ihnen wissentlich oder unwissentlich Unterschlupf geboten. Angriffe zur Selbstverteidigung gegen Feinde, gegen die ein Drittstaat nicht vorgehen kann oder will, sind aber auch auf dem Gebiet des Drittstaates im Rahmen der Verhältnismäßigkeit legal. Folgt man dieser Argumentationslinie, dann hätte sich Israel keines bewaffneten Angriffs auf den Iran schuldig gemacht und wäre gestern vom Iran angegriffen worden, könnte sich also nun auf das Selbstverteidigungsrecht gegen eine staatliche Aggression von Seiten des Iran berufen. 

Offenbar sind es genau diese grundlegenden und kaum miteinander zu vereinbarenden völkerrechtlichen Perspektiven, mit denen beide Seiten ihre Aktivitäten juristisch einordnen und so ihre politischen, strategischen und ideologischen Absichten zusätzlich legitimieren. Im Fall des Iran hat das Selbstverteidigungsnarrativ – wohl auch aus innenpolitischen Zwängen und Sorgen um die Legitimität des Regimes heraus – bereits zum ersten Schritt einer (offenbar von der iranischen Führung keineswegs beabsichtigten) weiteren Eskalation zu einem großen regionalen Krieg geführt. Ob die ebenfalls massiv unter Druck stehende israelische Regierung mit der angekündigten Antwort auf iranisches Territorium den nächsten Schritt macht, bleibt abzuwarten bzw. zu befürchten.   

  

Literatur/Links

Bens, Jonas (2011): Cyberwar und völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht. Überlegungen zum Begriff des bewaffneten Angriffs bei Attacken im Cyberspace. Bonner Rechtsjournal 4 (2): 149-155, https://bonner-rechtsjournal.de/fileadmin/pdf/Artikel/2011_02/BRJ_149_2011_Bens.pdf .

Bruha, Thomas/Bortfeld, Matthias (2001): Terrorismus und Selbstverteidigung. Voraussetzungen und Umfang erlaubter Selbstverteidigungsmaßnahmen nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Vereinte Nationen 5/2001: 161-167, https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/terrorismus-und-selbstverteidigung .

Heidelmeyer, Wolfgang (1975): Die Definition der Aggression - ein Instrument für den Sicherheitsrat. Vereinte Nationen 4/1975: 108-112, https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/publications/PDFs/Zeitschrift_VN/VN_1975/Heft_4_1975/04_Beitrag_Heidelmeyer_VN_4-75.pdf .

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2023): Sachstand – Staatliche Selbstverteidigung gegen Terroristen. Völkerrechtliche Bewertung der Terroranschläge von Paris vom 13. November 2015. Berlin: Deutscher Bundestag, https://www.bundestag.de/resource/blob/564358/66417232e0f7de033f60ec8f414c7746/WD-2-203-15-pdf.pdf .

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2023): Kurzinformation – Kriege und Aggressionshandlungen in der Staatenwelt. Berlin: Deutscher Bundestag, https://www.bundestag.de/resource/blob/938486/3bc66493634f933804e891cbffde0daf/WD-2-011-23-pdf.pdf .