Rechtsruck in Südtirol – bei den Deutschsprachigen

Die von den Umfragen vorausgesagten Veränderungen im Südtiroler Landtag durch die gestrigen Wahlen sind in einem noch stärkeren Maße eingetreten als erwartet. Die bislang mit der Lega regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) ist gegenüber 2018 von 41,9% auf 34,5% der Stimmen und von 15 auf 13 Sitze im 35-köpfigen Landtag abgerutscht, ihr bisheriger Koalitionspartner von 11,1% (4 Sitze) auf 3,8% (1 Sitz). Zugleich hat sich der Stimmenanteil der Fratelli d’Italia (FdI) auf 6,8% fast vervierfacht; die postfaschistische Partei Georgia Melonis wird zukünftig zwei Sitze (statt wie bislang einen für die „L’Alto Adige nel Cuore Fratelli d’Italia Uniti“) im Provinzparlament haben. In der Landeshauptstadt Bozen sind die FdI mit 19,9% sogar stärkste Partei (2018: 5.9%) und lösen damit die Lega mit ihren nurmehr 7,8% (2018: 27,8%) in dieser Rolle ab. 

Während der Erfolg der FdI nicht ausreicht, um die Verluste der Lega wettzumachen, und die beiden anderen italienisch dominierten Parteien im zukünftigen Landtag, Partito Democratico (PD) und La Civica (mit je einem Sitz), sozialdemokratisch oder liberal-zentristisch geprägt sind, kann bei den italienischsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler kaum von einem Rechtsruck die Rede sein. Anders verhält es sich jedoch bei den Deutschsprachigen: Neben der konservativen SVP verlor auch das sozialliberale bis linkspopulistische Team K (11,1% nach 16,2% 2018, 4 statt bisher 6 Sitze), während die Grünen zwar um gut zwei Prozentpunkte auf 9,0% zulegen, aber die Zahl ihrer Sitze (3) nicht erhöhen konnten. Die Partei „Für Südtirol mit Widmann“, die eine Abspaltung von der SVP darstellt, kommt auf 3,4% und einen Sitz.

Demgegenüber geht das Lager der deutschsprachigen Rechtspopulisten - durchaus in gewisser Analogie zur Nationalratswahl in der Schweiz - deutlich gestärkt aus der Wahl hervor: Die Verluste der Freiheitlichen (4,9% statt 6,2%) schlagen sich nicht in weniger Sitzen (2) nieder, und die separatistische Süd-Tiroler Freiheit (STF) gewinnt mit 10,9% vier Sitze (nach 6,0% und 2 Sitzen), während die JWA um den Covid-Maßnahmen-Kritiker und rechtsextrem-verschwörungstheoretischen Querdenker Wirth Anderlan aus dem Stand 5,9% und zwei Sitze gewann. Auch die Impfgegner der „basisdemokratischen“ Bewegung Vita erhielten 2,6% der Stimmen und damit einen Sitz im Landtag. Je nach begrifflicher Einordnung werden Rechtspopulisten im Landtag damit zukünftig bis zu neun Sitze haben und fast ein Viertel (24,3 Prozent) der Wähler repräsentieren (2018: 4 Sitze und 12,2%).  

Die Bildung einer Regierungsmehrheit mit mindestens 18 Landtagssitzen - über die auch eine Koalition aus SVP, Lega und FdI mit nunmehr zusammen 16 Abgeordneten nicht verfügt - wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das Autonomiestatut erfordert, dass die im Landtag vertretenen Sprachgruppen entsprechend ihrer Mandatszahl auch im Landesrat vertreten sein müssen. Bei bislang neun Landesräten und fünf italienischsprachigen Abgeordneten – die ausschließlich von den FdI, der Lega, der PD und La Civica gestellt werden – benötigt die neue Regierung zwei italienischsprachige Landesräte und damit die Beteiligung ihrer Partei(en).  

Entsprechend sind schwierige Verhandlungen zu erwarten, bis der amtierende Landeshauptmann Kompatscher eine ausreichend große Koalition um die SVP zusammenstellen kann. So haben die Grünen eine Regierungsbeteiligung ausgeschlossen, wenn die FdI dazu gehören. Eine inhaltlich tragfähige Zusammenarbeit von Lega und PD oder La Civica, um die notwendige Zahl von italienischsprachigen Abgeordneten in einer Koalition SVP-Grüne-Lega zusammenzubringen, erscheint aber kaum möglich, was auch eine Koalition der SVP mit den vier italienischen Parteien ausschließen dürfte. Entsprechend gibt es verschiedene Gedankenspiele zur Lösung des Proporzproblems. Ein theoretischer Ausweg wäre es etwa, die Zahl der Ministerien und damit diejenige der Landesräte auf sieben zu reduzieren, denn dann wäre nurmehr ein italienischsprachiger Abgeordneter als Landesrat erforderlich und die Regierungsbildung wäre zumindest von dieser Bestimmung des Autonomie-Status her leichter. Alternativ wird darüber spekuliert, ob nicht der Verzicht einer/s der drei grünen Abgeordneten den Weg für ein Nachrücken der viertplatzierten italienischsprachigen Kandidatin freimachen könnte. 

So oder so wird die SVP nicht an der Tatsache vorbeikommen, dass sie eine der deutschsprachig dominierten Parteien als Partner benötigt und damit ihren lang gehegten Alleinvertretungsanspruch der deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler in der Regierung verlieren wird. Legt man die grundsätzliche inhaltliche Nähe der Parteien zugrunde, unterstellt diesbezüglich eine gewisse Flexibilität der SVP und geht davon aus, dass die STF wegen ihres separatistischen Radikalismus zunächst einmal nicht hoffähig ist, dann liegen folgende Konstellationen für eine zukünftige Südtiroler Landesregierung auf der Hand, welche die Mindestanforderungen hinsichtlich Mehrheiten und Sprachenproporz erfüllen:

- eine rechte Koalition mit SVP, Freiheitlichen, Lega und FdI (18 Sitze, 3 italienischsprachige Abgeordnete),

- eine links-konservative Koalition mit SVP, Grünen, PD und La Civica (18 Sitze, 2 italienischsprachige Abgeordnete) oder

- eine liberal-konservative Koalition mit SVP, Team K, PD und La Civica oder, je nach Kompromissbereitschaft der italienischen Parteien, der Lega anstelle von PD oder La Civica (19 Sitze, 2 italienischsprachige Abgeordnete).

Ironischerweise besteht damit eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Rechtsruck bei den deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtirolern sogar zu einer liberaleren oder gar linkeren Landesregierung als bislang führen könnte.