Südtirol wählt - wohl noch weiter rechts

Am heutigen Sonntag sind etwa 430.000 Bürgerinnen und Bürger der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Dabei steht die seit einem Dreivierteljahrhundert regierende konservative Südtiroler Volkspartei (SVP) mit ihrem seit 2014 amtierenden Landeshauptmann (Ministerpräsidenten) Arno Kompatscher wohl vor dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte. Umfragen nach kann sie mit lediglich rund 35 Prozent der Stimmen rechnen, nach 41,9 Prozent (und 15 Sitzen im 35-köpfigen Landtag) im Jahr 2018. 

An zweiter Stelle liegen laut Umfragen die Grünen mit 12% (2018: 6,8% und 3 Sitze), gefolgt vom von der Fünf-Sterne-Bewegung abgespaltenen, eher liberalen Team K (vormals Team Köllensperger) mit 11% (2018: 15,2%, 6 Sitze), den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) mit 7% (2018: 1,7%, 1 Sitz), den rechtspopulistischen, der FPÖ nahestehenden Freiheitlichen mit 6% (2018: 6,2%, 2 Sitze) und der separatistisch-rechtspopulistischen Süd-Tiroler Freiheit mit 5% (2018: 6,0%, 2 Sitze). Der bisherige Koalitionspartner der SVP, die bis 2014 mit absoluter Mehrheit regiert hatte, die Lega (Lega Nord), wird mit 4 Prozent wohl deutlich schlechter abschneiden als 2018 (11,1%, 4 Sitze).  

Bewahrheitet sich dieses Umfragebild, wird die SVP auf einen dritten Koalitionspartner neben der schwächelnden Lega angewiesen sein. Interessanterweise bieten sich hier die FdI an, die in Rom ja zusammen mit der Lega und der in Südtirol mit erwarteten 2% Stimmenanteil unbedeutenden Forza Italia des verstorbenen Silvio Berlusconi regiert. Tatsächlich scheint eine solcher Dreierkoalition aus drei Gründen nicht unwahrscheinlich für die neue Südtiroler Regierung:

Obwohl die SVP und die deutschsprachigen Südtiroler, die laut Volkszählung von 2011 etwa 69,4 Prozent der Bevölkerung der Provinz stellen (26,1% Italienisch- und 4,5% Ladinischsprachige), anfänglich eine große Skepsis gegenüber den FdI an den Tag legten, haben sich Befürchtungen hinsichtlich einer neofaschistischen Italianisierungspolitik und einer Gefährdung des mühsam erstrittenen Autonomiestatuts Südtirols nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, die Südtiroler Landesregierung und die Zentralregierung in Rom führen intensive und laut Kompatscher produktive Gespräche um eine Intensivierung der Autonomie; Regierungschefin Meloni hat sich trotz anderslautender Äußerungen in der Vergangenheit seit ihrem Amtsantritt 2022 wiederholt zum Sonderstatus Südtirols bekannt. Entsprechend scheinen fundamentale Vorbehalte in der SVP gegenüber den FdI mittlerweile weitgehend ausgeräumt oder von Pragmatismus überlagert worden zu sein. Und auch zur Zusammenarbeit mit der Lega gab es zu Beginn der ausgehenden Legislaturperiode kritische Stimmen, die jedoch mittlerweile weitegehend verstummt sind, nicht zuletzt aufgrund des pragmatischen bis farblosen Verhaltens der Lega im Regierungsalltag.

Das Autonomiestatut für Südtirol (bzw. die Region Trentino-Südtirol mit den Provinzen Trient und Bozen) in der aktuell gültigen Fassung von 2001 sieht in Art. 50 (2) vor, dass die Zusammensetzung des als Landesausschuss bezeichneten Landesregierung (im Rahmen des Minderheitenschutzes) „im Verhältnis zur Stärke der Sprachgruppen stehen (muss), wie sie im Landtag vertreten sind“. Nachdem die FdI (wie die Lega) besonders stark - wenngleich nicht ausschließlich - in der italienischsprachigen Bevölkerung populär ist, dürfte es durch die Bildung einer Koalition mit diesen Parteien einfacher sein, diesen Sprachproporz zu erfüllen als durch eine solche mit den beiden stärker deutschsprachig geprägten Parteien Team K und Grüne. 

Zwei weitere Besonderheiten verstärken diese Tendenz: Zum einen ist die Landtagswahl in Südtirol zwar eine reine Listenwahl - die ganze Provinz ist ein einziger Wahlkreis - ohne Sperrklausel (und einem garantierten Sitz für die ladinische Minderheit), aber jede Wählerin und jeder Wähler hat vier sogenannte Vorzugsstimmen, mit denen die Reihenfolge in der Liste verändert werden kann, indem maximal vier Namen in der von ihm gewählten Liste „nach oben“ gewählen werden können; sie werden einfach namentlich neben das Listensymbol geschrieben. Angesichts der quantitativen Dominanz der deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler führt dies zu einer gewissen erhöhten Wahrscheinlichkeit deutschsprachiger Kandidatinnen und Kandidaten, bevorzugt in den Landtag gewählt werden, sofern ihre Partei und ihre Kandidatenliste nicht klar italienisch dominiert werden. 

Zum anderen ist für die Wahl zum Landesrat (Landesminister) zwar kein Landtagsmandat notwendig, doch im Unterschied zur Wahl einer/s Abgeordneten in den Landesrat mit einfacher Mehrheit des Landtags ist – ebenfalls gemäß Art. 50 (2) – für diejenige eines Mitglieds des Landesrats, das nicht dem Landtag angehört, eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Bei relativ knappen Mehrheiten einer Regierungskoalition dürfte (und soll) dies eine Ausnahme bleiben. 

Eine Koalition der SVP mit den Grünen oder dem Team K wurde zwar im Wahlkampf nicht ausgeschlossen, doch eine solche wir nicht zuletzt dadurch erschwert, dass sich die SVP schon immer als zentrale Vertretung der deutschsprachigen Südtirolerinnen und Südtiroler versteht. Während eine Regierungskooperation mit einer italienisch dominierten Partei damit vereinbar scheint, wäre eine solche mit den stärker deutschsprachig geprägten Grünen oder analog dem Team K schwieriger, denn sie würde bedeuten, den tradierten, faktischen Alleinvertretungsanspruch der SVP quasi offiziell aufzugeben und damit implizit zu akzeptieren, dass die Tage der Dominanz der SVP tatsächlich passé sind. Ob die Partei dafür tatsächlich bereit ist, bleibt fraglich. 

Alle Zeichen deuten daher darauf hin, dass die nächste Südtiroler Regierung wieder von der SVP geführt, aber im Vergleich zu 2018 noch rechtslastiger und romfreundlicher werden wird.