Und wieder stützt der Supreme Court die US-Demokratie

Nachdem er vor ein paar Wochen das Gerrymandering in Alabama beschnitten hatte, wo die dortige republikanische Kongressmehrheit versucht hatte, die Wahlbezirke zuungunsten der afroamerikanischen Minderheit (die tendenziell eher Demokraten wählt) neu zuzuschneiden, hat der US Supreme Court gestern ein weiteres Urteil gegen die Versuche der Republikaner gesprochen, das Wahlsystem zu ihrem Vorteil umzugestalten. Diesmal ging es um die Neuordnung der Wahlbezirke in North Carolina im November 2021, wo die republikanische Parlamentsmehrheit ebenfalls Gerrymandering betrieben wollte, damit jedoch vor dem Obersten Gericht des Staates scheiterte. Das Resultat der Reform wäre gewesen, dass in dem Staat, in dem es in etwa gleich viele Wähler von Republikanern und Demokraten gibt – der Staat hat zur Zeit einen demokratischen Gouverneur und stellt zwei republikanische Senatoren –, dass von den 14 Kongresssitzen North Carolinas wahrscheinlich regelmäßig 10 an die Republikaner gegangen wären. Der Supreme Court von North Carolina verwarf die neue Wahlbezirkseinteilung im Februar 2022, und in der Folge wurde eine neue Wahlbezirkskarte beschlossen, die erwartete Mehrheiten und Sitzverteilungen von 7:7 implizierte. Dagegen wiederum klagten wiederum republikanische Abgeordnete vor dem US Supreme Court. Wenig später kassierte der Supreme Court of North Carolina das ursprüngliche Urteil, nachdem durch Neubesetzungen seine parteipolitische Ausrichtung gewechselt hatte, und sprach der Justiz die Kompetenz zur Aufsicht über die Wahlgesetze ab. 

Vor dem höchsten US-Gericht war nun zu entscheiden, ob der zentrale Einwand der Republikaner, die Gerichte seien für Fragen des Wahlrechts gar nicht zuständig, stichhaltig ist. Hintergrund ist die in den letzten Jahren bei den Republikanern und insbesondere bei Anhängern Donald Trumps populär gewordene Theorie der „independent state legislature“, wonach die Wahlgesetzgebung ausschließlich den Parlamenten der Bundesstaaten obliegt und auch nicht von Gerichten geprüft oder gar verworfen werden kann. Die Vertreter dieser Theorie berufen sich auf Artikel I und II der US-Verfassung, in denen es heißt: „The Times, Places and Manner of holding Elections for Senators and Representatives, shall be prescribed in each State by the Legislature thereof (...)“ (Art. I (4)) bzw. – bezogen auf die Wahl des Präsidenten – „Each State shall appoint, in such Manner as the Legislature thereof may direct, a Number of Electors, equal to the whole Number of Senators and Representatives to which the State may be entitled in the Congress“ (Art. II (1)).

Es war also zu klären, ob es auch im Fall der Wahlgesetzgebung, die in der Verfassung gesondert erwähnt wird, das Prinzip verfassungsrechtlicher Überprüfung gilt oder ob die Mehrheit im Parlament in diesem Bereich quasi ohne Einschränkung und richterliche Kontrolle agieren kann. Letztlich musste der SCOTUS damit über zwei Dinge urteilen: die Zuständigkeit von Bundesgerichten inklusive des US Supreme Court für die Wahlgesetzgebung der Staaten und das relevante Verständnis von Demokratie, das den unterschiedlichen Positionen im Endeffekt zugrunde liegt: Folgen die Regeln der Wahlgesetzgebung einem eher simplen und populistischen (und damit potenziell autoritären) Demokratieverständnis, wonach nur die Mehrheit zählt, die dann praktisch machen darf, was sie will – eine Demokratieauffassung, der offenbar Politiker wie Donald Trump oder Recep Erdogan anhängen –, oder einer notwendigen permanenten Verbindung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, welches impliziert, dass auch der Gesetzgeber stets (verfassungs-) rechtlichen Grenzen und entsprechender richterlicher Kontrolle unterworfen ist.

Der US Supreme Court hat sich trotz seiner konservativen Mehrheit ganz klar für die eigene Zuständigkeit in der Sache (als verfassungsrechtliche Aufsicht auch gegenüber den Bundesstaaten) und die letztgenannte Position einer aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratie, also gegen die „independent state legislature“-Theorie entschieden. Auch wenn der SCOTUS explizit darauf verzichtete dem Obersten Gericht von North Carolina konkrete Vorgaben zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit ins Stammbuch zu schreiben, stellte er doch unmissverständlich dessen Zuständigkeit für die Wahlrechtsprüfung fest. In seiner Entscheidung heißt es:    

„This Court has jurisdiction to review the judgment of the North Carolina Supreme Court in Harper I that adjudicated the Federal Elections Clause issue. A corollary to this Court’s jurisdiction over ’Cases’ and ’Controversies’ is that there must exist a dispute ’at all stages of review, not merely at the time the complaint is filed.’ (...) The Elections Clause does not vest exclusive and independent au- thority in state legislatures to set the rules regarding federal elections. (...) When state legislatures prescribe the rules con- cerning federal elections, they remain subject to the ordinary exercise of state judicial review. (...) The basic principle (...) that a state legislature may not ’create congressional districts independently of’ requirements imposed ’by the state constitution with respect to the enactment of laws,’ (...) commands continued respect. (...) when a state legislature carries out its federal constitutional power to prescribe rules regulating federal elections, it acts both as a lawmaking body created and bound by its state constitution, and as the entity assigned particular authority by the Federal Constitution. Both constitutions restrain the state legislature’s exercise of power. (...) fashioning regulations governing federal elections ’unquestionably calls for the exercise of lawmaking authority.’ (...) And the exercise of such authority in the context of the Elections Clause is subject to the ordinary constraints on lawmaking in the state constitution. (...) Historical practice confirms that state legislatures remain bound by state constitutional restraints when exercising authority under the Elections Clause. (...) Although the Elections Clause does not exempt state legislatures from the ordinary constraints imposed by state law, federal courts must not abandon their duty to exercise judicial review. This Court has an obligation to ensure that state court interpretations of state law do not evade federal law. (...) While the Court does not adopt a test by which state court interpretations of state law can be measured in cases implicating the Elections Clause, state courts may not transgress the ordinary bounds of judicial review such that they arrogate to themselves the power vested in state legislatures to regulate federal elections.“

Damit ist wahrscheinlich sehr zum Unwillen des Trumpschen Flügels der Republikaner ein weiterer Versuch abgewendet worden, das Wahlrecht zur Manipulation der Kongresswahlen zu nutzen – auch wenn abzuwarten bleibt, wie das Gericht in North Carolina in seiner gegenwärtigen Besetzung letztlich weiterverfahren wird.  

  

Literatur/Links

U.S. Supreme Court (2023): Moore v Harper, No. 21 – 2071, 27. Juni 2023, https://www.supremecourt.gov/opinions/22pdf/21-1271_3f14.pdf .